Fenster zum Zoo
auf dem Schiff von Duisburg gesprochen, von Jartmanns Andeutungen, und dann die Begegnung am Nebeneingang. Er hatte auf sie gewartet. Er hatte Löcher in seinen Hosenbeinen gehabt. Was würde er jetzt von ihr denken? Sie wollte ihn nicht wiedersehen, nicht sein enttäuschtes Gesicht. Er musste von ihr enttäuscht sein.
Das Schiff.
Wenn die Angst zu groß wurde, dachte sie an das Schiff. Wie es sich angefühlt hatte, das Wasser unter ihr, das Vibrieren des Motors, das leichte Schaukeln der Wellen. Leider hatte das Schiff gedreht, als endlich alle Brücken hinter ihnen lagen und sie gehofft hatte, jetzt ginge die Fahrt erst richtig los. Und an die Rückfahrt dachte sie, er und sie allein an Deck, sonst hätte sie nicht gewagt ihn zu fragen. Er wollte, dass es ihr gut ging. Wollte er das wirklich?
Sie suchte in den Manteltaschen und fand nichts. Sie hatte die Fotos vergessen, in dem Glauben, dass sie im Mantel steckten, wie immer. Aber sie hatte sie wegen der Schiffstour herausgenommen. Sie sollten nicht durch Zufall herausfallen. Dann hätte er sie gesehen.
Das Halstuch lag noch im Bärengehege. Bald würde sie zu ihm gehen können, noch nicht. Sie vermisste ihn.
Sie blieb am Ufer, rollte sich hinter einem der Büsche zusammen und versuchte zu schlafen. Der Boden war feucht und modrig. Es regnete immer noch. Ratten huschten über ihre Füße, Grasbüschel bewegten sich. Sie legte sich auf die linke Seite, ihre Augen fast in Höhe der Wellen, dazu der Regen, so war das andere Ufer nicht mehr zu erkennen, als ob das Wasser nie aufhören würde, als wäre es das Meer.
Sie sah hinüber zu den Schafen, die auch nicht schlafen konnten und unruhig mit ihrer Herde hin und her wanderten.
Der Vollmond, von dem Muschalik gesprochen hatte, war hinter den Wolken verschwunden, nur seine bläulichen Umrisse waren noch zu erkennen.
Sie zog den Sommermantel aus und rollte ihn zusammen, streifte den dunklen Pullover über und legte den Sommermantel wie ein Kissen unter ihren Kopf.
Der Pullover war olivgrün, niemand würde sie sehen.
Sie würde hier bleiben, tagsüber hier, versteckt zwischen den Büschen, nachts würde sie zu ihm gehen.
Bis man sie finden würde.
12. Kapitel
Muschalik ging in Gedanken am nächsten Morgen am Kinderkrankenhaus vorbei über die Amsterdamer Straße zu Fuß zur Barbarastraße. Er hatte schlecht geschlafen, an den Spaziergang mit Nelly gedacht, die Schiffstour und die wenigen Gespräche, die sie vor Jartmanns Tod miteinander geführt hatten. Er konnte sich keinen Reim auf das machen, was passiert war, und hatte sich im Bett hin und her gewälzt. Im Halbschlaf patrouillierte nicht Nelly am Bärengehege, sondern die Malerin in ihren bunten Tüchern. Zum Schluss war er aufgestanden, nass geschwitzt, und hatte sich unter die Dusche gestellt. Danach war er erst recht hellwach gewesen und hatte am Küchentisch auf den Morgen gewartet.
Kurz nach neun stand er endlich vor Nellys Haus und wunderte sich, dass Krafts Auto nicht am Straßenrand parkte. An der Klingel standen drei Namen: Sabine Vordermeier, Nelly Luxem und Christine Tuch.
Kraft öffnete ihm.
»Bist du auch zu Fuß?«, fragte Muschalik.
»Ja und nein.«
Und er erzählte, dass ihn sein Auto auf halber Strecke im Stich gelassen hätte und jetzt auf der Neusser Straße kurz hinter dem Ebertplatz stünde. Vom Ebertplatz aus wäre er mit der KVB weitergefahren.
Die Wohngemeinschaft residierte in einer großzügigen Vier-Zimmer-Wohnung, von der man einen Blick auf das Bundesverwaltungsamt hatte. Muschalik war überrascht, dass die beiden Mitbewohnerinnen im Gegensatz zu Nelly höchstens Anfang zwanzig waren. Sie hatten sich im Kaufhof kennen gelernt, sie waren Verkäuferinnen in der Parfümerie-Abteilung.
»Seltsamerweise hat Nelly ihre Wohnungsschlüssel nicht mitgenommen, sondern in der Diele liegen lassen«, sagte Sabine.
Muschalik hakte nach: »Das heißt, sie kann nicht in die Wohnung, wenn Sie nicht da sind?«
»Nein, kann sie nicht.«
»Woher kennen Sie Nelly eigentlich?«
»Wir hatten noch ein Zimmer frei und haben im Januar inseriert. Nelly war die Erste, die sich gemeldet hatte. Wir haben uns gleich für sie entschieden, weil sie einen so interessanten Beruf hat.«
»Wir dachten, sie würde uns viel erzählen können«, ergänzte Christine Tuch, »bei uns beiden passiert nicht viel, wissen Sie. Höchstens mal eine nervende Kundin, mal ein Ladendiebstahl, mal ein Sonderangebot.«
»Was erzählt sie denn?«, wollte Muschalik
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