Fenster zum Zoo
bombardierten die Zooverwaltung. In Köln hingen die Fahnen auf Halbmast. Dieses Mal konnte kein anderer Zoo eine Bärenspezialistin zur Verfügung stellen. Es gab niemanden wie Nelly. Der Ruf nach ihr stand in jeder Zeile.
Immerhin konnte Muschalik am Montag, dem 7. August, endlich seine Wohnzimmergardinen abhängen. Während sie in der Badewanne einweichten, besuchte er Betty auf dem Nordfriedhof und berichtete ihr, dass er die Wohnung nicht verkommen ließe. Er war das letzte Mal an ihrem Geburtstag auf dem Friedhof gewesen und das war schon fast zwei Wochen her. Viel war in der Zwischenzeit passiert.
»Aber die größte Neuigkeit ist doch, dass ich wieder im Dienst bin«, sagte er und holte die verblühten Margeriten aus der Vase. Das Blumenwasser stank und er schüttete es auf dem Weg aus.
Sicher würde Betty verstehen, dass er einen Fall im Kölner Zoo unmöglich seinem Nachfolger überlassen konnte. Er berichtete vom Patronenfund, der Schusswunde in Jartmanns Brust und Krafts Familienproblemen.
Nelly erwähnte er nicht.
»Kein Wunder, dass ich keine Zeit zum Kochen habe«, sagte er stattdessen. Natürlich hätte er Zeit zum Kochen gefunden, aber es interessierte ihn nicht mehr, nicht mehr seit der Sache mit dem Gulasch in Madeira. Wenn er nur daran dachte, wurde ihm übel.
Er aß jetzt fast immer im Zoo-Restaurant, wenn er überhaupt etwas aß.
So auch am Montagmittag.
Am letzten Tisch saß die Malerin, und er setzte sich mit einer Portion Spaghetti Bolognese zu ihr. Er sah, dass sie das Gleiche aß.
»Mattis hat erzählt, dass sich Jartmann, wann immer möglich, in Nellys Nähe aufgehalten hat«, begann er ohne Umschweife.
»Das ist wahr. Und Sie hatten wohl nur Augen für die Bärenpflegerin«, fragte die Malerin lächelnd.
Muschalik wurde verlegen.
»Das war nicht zu übersehen, auch nicht, wie sehr es ihr gefiel.«
»Aber, aber«, wehrte er ab und spürte, dass seine Wangen zu glühen begannen.
»Es war sehr schön anzusehen.«
Spaghetti rutschten unkontrolliert von seiner Gabel. »Ich mache mir große Sorgen um Nelly.«
»Sehen Sie«, sagte sie, »ein untrügliches Zeichen.«
»Ich hatte mich gerade ein bisschen an sie gewöhnt«, gab er zu, »ich wollte ihr helfen.«
Sie nickte verständnisvoll. »Sie wird wiederkommen, so lange es den Bären gibt.«
»Darauf setze ich auch. Aber wann? Ich glaube, dass sie außerhalb des Zoos sehr hilflos ist.«
Die Malerin stand auf, nahm ihr Tablett und sagte: »Sie glauben wirklich, dass sie ohne Sie nicht zurechtkommt?«
»Doch, natürlich wird sie das, aber …«
»Geben Sie ihr die Gelegenheit.«
Sie ließ Muschalik allein zurück, der nicht getröstet war, sondern noch aufgewühlter als zuvor. Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt.
Nach dem Essen drehte er eine einsame Runde durch den Zoo, ohne die Tiere wahrzunehmen, die ihm nachblickten, er blieb an keinem Gehege stehen, sah nicht, ob sie fraßen oder schliefen. Er ging sogar gedankenlos am Marabu vorbei, ohne ihn zu grüßen, und als er am Südamerika-Haus ankam, wusste er nicht, wie er dorthin gelangt war. Er suchte Mattis, aber er fand ihn nicht. Professor Nogge bezog nebenan seine frisch renovierte Villa und hatte keine Zeit für ein Gespräch. Die Anlage des Grizzlys war leer und verwaist. Muschalik kam sich verloren vor. Der Zoo hatte sich verändert, war nicht mehr die friedliche Insel, die Arche Noah in der großen Stadt. Angst lag in der Luft, die Ruhe vor dem Sturm, das reglose Warten auf die nächste Katastrophe, wenn der Grizzly in seiner Höhle aufgab, wenn er starb. Er wusste nicht mehr weiter. Lise Becker schien das Transportunternehmen nicht zu finden, das den Grizzly gefahren hatte. Sie telefonierte sich die Finger wund. Und Kraft würde wahrscheinlich keinen offenen Fall »Albert« finden. Die Ermittlungen steckten fest. Allein Nelly konnte sie weiterbringen.
Er hatte sich gerade schlafen gelegt, als es an seiner Tür klingelte.
Zuerst dachte er an Kraft, der Albert gefunden haben konnte und nicht den Morgen abwarten wollte, um es ihm mitzuteilen.
Aber dann hatte er das vage Gefühl, dass Nelly vor seiner Türe stehen könnte. Er sprang auf, betätigte den Türdrücker, öffnete die Wohnungstür und starrte in den dunklen Flur. Niemand stieß unten die Haustür auf, niemand machte Licht im Flur, er hörte keine Schritte die Treppen heraufgehen.
17. Kapitel
Am Dienstag zeigte Muschaliks Plan erste Erfolge. Dem trauernden Grizzly schien es besser zu gehen.
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