Fenster zum Zoo
zu verstehen, was sie sagten. Sie blieben beide stehen. Muschalik entging es nicht, dass Dr. Behlert immer wieder den Kopf schüttelte, zu ihm herübersah. Kraft redete auf ihn ein, erklärte mit großen Gesten. Schließlich nickte der Tierarzt, und sie verabschiedeten sich mit einem Handschlag.
»Was sagt er?«, fragte Muschalik, als Kraft neben ihm stand.
»Der Grizzly trauert. Er würde ihn gern aus der Höhle lassen. Das würde ihm gut tun. Einsam und eingesperrt obendrein, das wäre zu viel für ihn.«
»Das ist doch normal, oder? Es ist die Sehnsucht, der Trennungsschmerz. Das Gefühl musst du doch kennen. Aber du bist noch gut im Futter.« Muschalik klopfte auf Krafts kleinen Bauch, der sich unter seiner Jacke hervorwölbte, und dachte, du sagst mir nicht alles, Olaf. Die Beule an seiner Schläfe war jetzt gelb.
»Mach dich ruhig lustig über mich.«
»Ich werde mit van Dörben reden, vielleicht kann er sich entschließen, dem Bären Ausgang zu gewähren, für ein paar Stunden am Tag unter strengen Sicherheitsbedingungen. Vielleicht kann man auch das Gitter erhöhen und einen Wachposten aufstellen. Was haben die Kollegen eigentlich bei ihren Befragungen herausgefunden?«
Kraft hatte wenig Neuigkeiten. Der angebliche Waffennarr M. Liebinger war ein halb blinder, achtzigjähriger Mann, der früher Schützenbruder und nur im Besitz von Ausstellungsstücken war. Man musste ihn von der Liste streichen. Alle anderen Anwohner waren ausgesprochen unauffällig.
»Und Frau Heimbach?«, wollte Kraft wissen.
»Ist im Krankenhaus und lässt ihre Blumen vom Krankenpfleger gießen. Ansonsten steht die Wohnung praktisch leer.«
In der Kölner Universität, die Kraft inzwischen besucht hatte, war er erfolgreicher gewesen. Er hatte einen Kommilitonen von Jartmann gefunden, dem gegenüber er Ben Krämer einmal erwähnt hatte. Jörg Schiebrey. Er hatte die beiden außerdem manchmal zusammen gesehen. Abends in einer einschlägigen Kneipe, dem Go In am Altermarkt, und auf einem Konzert im E-Werk. Er hatte sie Hand in Hand gesehen. Aber das war länger als zwei Jahre her.
»Und wie war’s denn in Duisburg?«
»Erinnere mich nicht an Duisburg. Ein Albtraum. Wir müssen uns mit Nellys ehemaligem Lebensgefährten beschäftigen, einem Albert Sowieso. Kann dein großer Bruder Computer mal nach ihm suchen?«
»Klar, wenn du mir den Nachnamen sagst. Kein Thema.«
»Den kennt dort keiner.«
»Dann nicht.«
»Ich denke, Computer sind Alleskönner.«
»Er wird dir circa dreitausend Alberts ausspucken. Vergiss es.«
»Sie soll ihn umgebracht haben.«
»Das wäre natürlich ein Hammer. Aber du glaubst den Duisburgern kein Wort, wie ich dich kenne?«
»So ist es. Sieh nach, ob einer dieser dreitausend Alberts vielleicht spurlos verschwunden ist. Gibt es eine Vermisstenanzeige, einen Verdacht, eine Spur oder nur einen Hinweis? Schick deinen Computer auf die Jagd.«
»Okay. Wenn du unbedingt willst.«
»Ja, ich will es«, sagte Muschalik gereizt und fuhr dann fort: »Wir müssen Nelly dringend herbeischaffen, ehe der Bär das Fressen ganz einstellt und womöglich eingeht.«
»Und wie?«
»Wir setzen es in die Zeitung. Aber nicht nur in den Kölner Stadtanzeiger und in den Express, sondern auch in überregionale Blätter. Wo auch immer sie ist, sie soll es wissen. Die Journalisten sollen ein Drama daraus machen. Das können sie doch so gut.«
»Soll er im Sterben liegen?«
»Ja, das wäre gut.«
»Soll er noch zu retten sein?«
»Höchstwahrscheinlich nicht. Aber wir sollten vorher den Zoodirektor informieren. Und lass ein Bild von ihm machen.«
»Vom Zoodirektor?«, fragte Kraft.
»Quatsch, vom Grizzly.«
»Kein Problem. Wird sofort erledigt.«
»Nein, warte mal, was hat Dr. Behlert denn sonst noch so gesagt?«
»Nichts. Wir haben nur über den Bären gesprochen.«
»Ich frage mich, warum er immer zu mir herübergesehen und den Kopf geschüttelt hat.«
»Das bildest du dir ein.«
»Hat er vielleicht herausbekommen, dass der Bär ein anderer ist?«
»Nein«, sagte Kraft sehr schnell.
Du lügst, Olaf, dachte Muschalik.
Kraft setzte die nordrhein-westfälische Presse in Brand. Schreckensmeldungen erschienen über den lebensbedrohlichen Zustand des ursus arctos horribilis im Kölner Zoo. Seine Fotos standen auf den ersten Seiten. Und das ganze Land nahm Anteil. Schulklassen, Kindergärten und Altersheime schickten bergeweise Genesungskarten und Maskottchen für den Grizzly. Anrufe mit Diätempfehlungen
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