Ferne Verwandte
ohne die geringste Vorwarnung aus seiner Wohnung geschmissen werden? Ein Anwalt, das war es, was ich dringender brauchte als ein Apartmenthotel! Die Anwälte, mit denen ich bisher zu tun gehabt hatte, waren
alles Leute der Di Lontrone Corporation gewesen, doch New York wimmelt von Anwälten, und ich würde mir den besten aussuchen. Nur, welcher würde der beste sein? Wen sollte ich fragen, da ich keinen Freund hatte und praktisch niemanden kannte? Während mir solche Gedanken durch den Kopf gingen, wurde ich hungrig, und ich betrat niedergeschlagen eines der Restaurants, die ich mit Onkel Richard immer besucht hatte. Sollte ich ihm dort begegnen, umso besser: Ich würde ihm gehörig die Meinung sagen, auch wenn ich schon vor dem Maître einen Moment verunsichert war. Zum Glück wurde ich mit der üblichen Zuvorkommenheit empfangen. Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und schalt mich einen Paranoiker, weil ich kurzzeitig geglaubt hatte, dass die ganze Stadt bereits über meine Verstoßung informiert sei und sich Onkel Richards Anweisungen bereitwillig beuge. Nun erschien mir die ganze Angelegenheit in dem Zustand der Trägheit, in den ich verfiel, nachdem ich mir ein fürstliches Mahl gegönnt und eine Flasche Château Talbot geleert hatte, wieder im selben Licht wie am Morgen. Mit einem einzigen Schlag hatte ich mich von einer Arbeit befreit, die ich hasste, und von einem Onkel, der mich versklavte. Sollte er sich doch ruhig über seine erbärmlichen Triumphe freuen; ich meinerseits malte mir bereits genüsslich die Wonnen meiner Zukunft als Schriftsteller an Cybills Seite aus - was hätte ich mir Besseres wünschen können? Ein gutes Hotel, in dem ich mich richtig ausschlafen konnte, das war’s. Deshalb bat ich um die Rechnung, aber als der Kellner mit meiner goldenen American Express zurückkam, erlebte ich die dritte und schrecklichste Überraschung.
»Leider ist sie nicht gedeckt, mein Herr«, sagte er verschämt, und nachdem ich ihm der Reihe nach die anderen gereicht hatte, griff der Maître ein - und dieses Mal war er nicht sehr höflich.
Ich unternahm nicht einmal mehr den Versuch, in meinen Taschen zu kramen. Auf dem Heimweg hatte ich das Taxi mit zehn der zwanzig Dollar bezahlt, die ich, keine Ahnung, aufgrund welchen Zufalls, am Leib getragen hatte, denn ich war trotz meiner guten
Vorsätze weiterhin ohne Bargeld aus dem Haus gegangen - im Übrigen hatte ich noch ganz andere Vorsätze über Bord geworfen, und dies war nun die Folge. Beinahe hätte ich zu weinen angefangen, doch mit dem Mut der Verzweiflung teilte ich dem Maître von oben herab mit, dass meine Sekretärin - diese dumme Kuh - wohl vergessen habe, meine Kreditkarten zu erneuern, und dass ich sie, bevor ich sie rausschmisse, zu ihm schicken würde, damit sie die Rechnung beglich - in den Augen der Welt war ich ja immer noch Carlino Di Lontrone, das junge Finanzgenie.
»Ich danke Ihnen und entschuldige mich, mein Herr«, erwiderte der Maître tatsächlich, und der Respekt, mit dem er sich ausdrückte, verlieh mir neuen Schwung. Ich stürmte wie eine Furie aus dem Restaurant, und von der ersten Telefonzelle aus rief ich meine Bank an. Dort teilte man mir mit, dass ich keinen Kredit mehr hätte. Deshalb also waren alle meine Karten gesperrt - die Bank gehörte natürlich meinem Onkel. Immer noch vor Wut schäumend, rief ich ihn an. Ich hatte einen Fehler gemacht, okay, aber das konnte er mir nicht antun. Ich hatte einen Vertrag unterschrieben und zwei Jahre wie ein Irrer geschuftet, und wo war jetzt mein Gehalt? Aber Lucille - sie ist mir immer schon auf den Sack gegangen - antwortete eiskalt: »Mr Di Lontrone hat mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, dass er jede Beziehung für beendet betrachtet.«
Er dachte wohl, er könne sich alles herausnehmen, dieser Mann. Aber so würde es nicht enden. Ein Rechtsanwalt - ich brauchte sofort einen Anwalt. Zuerst musste ich freilich das Geld auftreiben, um ihn zu bezahlen, und viel dringender noch musste ich jemanden finden, der mir das Geld zum Überleben gab. Cybill, genau. Aber wo war sie? Und selbst wenn ich es wüsste - als Verächter der Technik hatte Whiteagle Spencer natürlich kein Telefon, und mit zehn Dollar in der Tasche zu ihm zu gelangen, wäre wirklich schwierig. Mir war auch nicht danach zumute, Charles darum zu bitten: Wie sollte ich ihm das Verhalten seines Großvaters erklären? Er kannte ihn schließlich: Wenn ich so tief gefallen war, musste es einen schwerwiegenden Grund
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