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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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durch die Straßen, in denen ein gelblicher Dunst waberte; sie waren von schmuddeligen Typen bevölkert, von Ausgestoßenen der unterschiedlichsten Art. Schließlich stieß ich auf einen kleinen Markt jugoslawischer Flüchtlinge, wenigstens dem Klang des Liedes nach zu urteilen, das aus einem alten feilgebotenen Radio kam und mich an Genuarios melancholische Melodien in jenem fernen Sommer meiner Verbannung aufs Land erinnerte. Damals hatte ich mich für das unglücklichste Wesen der Welt gehalten; jetzt hätte ich alles darum gegeben, in jene Zeit zurückkehren zu dürfen, und ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. In jenen Tagen musste ich unentwegt weinen.
    Schon an diesem Morgen versuchte ich erneut, mich mit Cargallo in Verbindung zu setzen, aber jetzt nahm nicht einmal mehr die Mutter ab. So gelangte ich in völliger Trostlosigkeit zum italienischen Generalkonsulat, um dort Hilfe zu erbitten. Ich stellte mich eine Stunde in die Schlange, nur um zu erfahren, dass sich der Beamte, der für meine Art von Problemen zuständig war, im Urlaub befand: Auch in Amerika blieb sich die italienische Bürokratie also treu. Ich flehte den Angestellten an und erzählte ihm, dass mir infolge eines Überfalls alles Geld abhanden gekommen sei, und da ich soeben erst in der Stadt eingetroffen sei, würde ich auch niemanden kennen, an den ich mich wenden könnte.
    Er zuckte mit den Achseln. »Füllen Sie dieses Formular für finanzielle Unterstützung in dringenden Notfällen aus, aber Sie werden sich schon einige Tage gedulden müssen, bis Sie etwas erhalten.«
    »Was für ein Glück, dass es sich um einen dringenden Notfall handelt! Und wovon soll ich in der Zwischenzeit leben?«, zischte ich.
    Er blickte mit säuerlicher Miene auf meine Uhr. »Sie haben eine schöne Uhr. Bringen Sie sie zum Pfandleiher.«

    Mit der Summe, die mir dort ausgehändigt wurde, kam ich in einem kleinen Hotel in der 44ten unter. Zum Essen ging ich in die Restaurants, in denen ich bekannt war, immer in der Hoffnung, Onkel Richard dort zu begegnen und ihn auf seine Verpflichtungen festnageln zu können, auch wenn ich nach jeder Mahlzeit und der üblichen Szene dermaßen alkoholisiert und untröstlich hinausging, dass ich mich ihm, hätte ich ihn tatsächlich erblickt, wohl eher zu Füßen geworfen hätte. Konnte er mich wirklich so behandeln? Hatte er nicht immer behauptet, in mir einen Sohn gefunden zu haben? Und ist ein Vater nicht immer bereit zu verzeihen? Schließlich hatte Charles nichts bemerkt, und es war ja auch nichts geschehen, was nicht wiedergutzumachen wäre. Vielleicht wollte mir Onkel Richard nur eine Lektion erteilen und konnte es jetzt, genau wie ich, kaum erwarten, mich wieder in die Arme zu schließen. Bald aber war auch dieser letzte schwache Hoffnungsschimmer zum Erlöschen verurteilt.
    An jenem Morgen hatte ich die x-te Telefonzelle betreten und automatisch, ohne noch wirklich daran zu glauben, die Nummer gewählt. Das Herz sprang mir in die Kehle, als ich hörte, dass endlich jemand abnahm, und auch wenn es wieder nur die Mutter sein würde, war ich mir sicher, dass Cargallo in der Nähe war. Den Gedanken, Onkel Richard vor Gericht zu zerren, hatte ich inzwischen völlig aufgegeben. In Anbetracht des unweigerlich ausgelösten Skandals würde Cybill mir Fragen stellen, und beim bloßen Verdacht, dass ihre Schwester dahintersteckte - dass ich sie gevögelt hatte -, würde ich auch sie verlieren, und zwar für immer, das wusste ich genau. Aber es ging nicht nur darum. Ich hatte meine Jugend in der Geborgenheit einer großen Familie verbracht und dann verlassen, was davon übrig geblieben war, heimlich wie der übelste der Renegaten, und nach diesen endlos langen Tagen der Einsamkeit war mir klar geworden, dass Onkel Richard und mein Vetter Charles die Einzigen waren, die mir jene Wärme geben konnten, in der ich aufgewachsen war und deren Fehlen ich jetzt, als der Entwurzelte, der ich war, so sehr spürte, wie ich es seit meiner
Ankunft in New York niemals erlebt hatte. Deshalb hatte ich beschlossen, etwas Zeit vergehen zu lassen und dann beim Onkel vorstellig zu werden, um ihn um Verzeihung zu bitten. Im Moment jedoch brauchte ich dringend Bargeld und wandte mich voller Hoffnung an Cargallos Mutter. »Signora«, sagte ich. »Hier ist Carlo Di Lontrone«, und fügte auf ihr Schweigen hin im reinsten meridionalen Stil hinzu: »Carletto, erinnert Ihr Euch nicht? Der Freund Eures Sohnes.«
    »’N Stück Scheiße bist

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