Fesseln der Erinnerung
gekämpft, hatte versucht, ihn zu retten.
„Ein Teil von mir hat immer geglaubt, er habe diesen Weg unter anderem deswegen eingeschlagen, weil er Schuldgefühle hatte, dass unsere Mutter uns so unterschiedlich behandelte.“ River war das goldene Kind gewesen, und Max hatte die Schläge abbekommen. „Ich habe versucht, ihm das auszureden, bin aber gescheitert.“
Sophia bedeckte seine Hand mit der ihren. „Wenn der Junge, den ich in diesem kurzen Augenblick der Rücksicht gesehen habe, wirklich dein Bruder war, dann liebt er dich von ganzem Herzen.“
„Manchmal reicht das aber nicht.“ Max wusste, es klang hart, aber nur so konnte er damit umgehen. Wenn er das Gefühl an sich heranließ, würde es verdammt wehtun. „Ich würde es ihm nicht übel nehmen, wenn er die Vergangenheit einfach vergessen wollte.“
Sophia drückte ihm die Hand und überließ ihm die Entscheidung. Aus tiefvioletten Augen sah sie ihn unverbrüchlich loyal an.
Und so blieb ihm nur eine Möglichkeit – die Liebe zu seinem verletzten, gequälten Bruder war stärker als die Angst, die ihn zurückhalten wollte. Er nahm sein Handy und rief an – das Gespräch dauerte kaum eine Minute, der Professor versprach ihm, dem River, der möglicherweise sein Bruder war, die Kontaktinformationen zu schicken. Max legte auf und seufzte tief. Dann zog er Sophia an sich und vergrub seinen Kopf in ihrem duftenden Haar.
Es war verführerisch, sich einfach an sie zu schmiegen und die Welt um sie herum zu vergessen, aber der Polizist in ihm kam nicht zur Ruhe. Er hatte einen Eid geleistet, Zusagen gemacht. „Ich müsste dir eigentlich Zeit lassen, dich auszuruhen“, sagte er zu der Frau, die alles tat, damit er wieder eine Familie hatte. „Möchtest du mich dennoch bei einer Observierung begleiten?“ Sein ohnmächtiger Zorn, weil er nichts dagegen tun konnte, dass ihre Schilde bald versagten, ließ Bitterkeit in ihm aufsteigen, aber er wehrte sich dagegen, wollte das Schöne zwischen ihnen, zwischen dem Polizisten und der J-Medialen, nicht zerstören.
In Sophias Gesicht leuchtete eine fast kindliche Freude auf. „Geht denn das? Aber sicher!“
Da wusste er, dass er alles in seiner Macht Stehende tun würde, um dieses Leuchten in ihren Augen zu erhalten.
Nachdem er sich mit dem Suchtrupp kurzgeschlossen hatte – Bonner war nicht gesehen worden, und es gab auch keine anderen Informationen, die ihm hätten helfen können, die Suche einzugrenzen, was die Männer ebenso frustrierte wie ihn – , machten sie sich in der Dämmerung auf den Weg in die Stadt. „Also“, sagte er, „es geht das Gerücht um, dass sich ein paar Mediale heimlich an verschiedenen Orten der Stadt treffen. Aber niemand weiß den Grund für diese Treffen.“
„Und wir werden einen dieser Orte beobachten?“
„So ist es. Clays Informanten meinten, es sei ziemlich sicher, dass das Treffen heute dort stattfindet.“ Der Gestaltwandler hatte sich am frühen Abend gemeldet. „Wir werden es erst einmal nur beobachten. Mal sehen, ob wir herausbekommen, worum es bei den Treffen geht und ob es irgendetwas mit der Situation bei Nikita zu tun haben könnte.“
Bald darauf hielt Max im exklusiven Pacific Heights und stellte den Wagen zwischen zwei identisch aussehenden schwarzen Sedan ab. Die Straßen hier gehörten zu den historischen Sehenswürdigkeiten der Stadt, deshalb waren sie größtenteils so belassen worden, wie sie im 20. Jahrhundert ausgesehen hatten. Die Häuser im Queen-Anne-Stil waren reich verziert und die Farben selbst im Dämmerlicht gut zu erkennen.
„Das ist richtig aufregend“, sagte Sophia mit großen Augen, als die Straßenlampen automatisch angingen.
Max biss sich auf die Zunge. „Glaub ja nicht, dass ich alle meine Rendezvous zu einer Observierung mitgenommen habe. Du bist etwas ganz Besonderes.“ Hinter den leicht dahingesprochenen Worten verbarg er die Tiefe seiner Gefühle für sie.
„Ich fühle mich geschmeichelt.“ Sie lachte heiser. „Apropos – ich habe wahrscheinlich herausgefunden, was dich bei Quentin Gareth so irritiert hat – ich wollte es dir schon vorhin sagen, aber wir wurden … abgelenkt.“
Max spürte ein angenehmes Summen im Körper bei der Erinnerung an diese Ablenkung. „Immer noch empfindlich?“
„Max!“
Er legte die Hand auf ihren Oberschenkel und drückte zu. „Was nun?“
„Ja, doch.“ Er konnte quasi hören, wie sie errötete. Dann sagte sie: „Und du? Bist du scharf?“
Himmel! „Ich hätte wissen
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