Fesseln der Leidenschaft
Temperament ist nötig im Umgang mit meinem Sohn, der so unangenehm und einschüchternd sein kann. Eine Frau mit weniger Feuer würde von ihm gewiß überwältigt werden.«
Wieder wunderte sich Reina, woher er das wissen konnte, wenn er nie mit seinem Sohn zu tun gehabt hatte. Aber sie wollte nicht fragen. Sie würde sich am besten schnell zurückziehen, ehe sie ihre bisherige Unhöflichkeit noch überbot. Doch zuerst mußte sie sich zu seiner Bemerkung äußern.
»Ranulf ist nicht so furchterregend, wie er erscheint. Man muß sich nur erst an sein aufbrausendes Wesen gewöhnen. Aber das werden Sie ja selbst wissen … « Sie hielt inne, erschrocken über ihre erneute Anspielung, und doch in der Hoffnung, er habe ihren Spott nicht wahrgenommen. »Machen Sie es sich bequem, mein Herr.« Sie deutete auf eine Bank neben dem Feuer, in einiger Entfernung von den herumeilenden Dienern, die die Tische deckten. »Wir werden bald essen, und Sie sind freundlich dazu eingeladen.« Sie hoffte, die Wahrheit zu sprechen, obwohl sie nicht Voraussagen konnte, wie Ranulf seinen Vater empfangen würde. »Entschuldigen Sie mich jetzt bitte, ich will meinen Mann suchen.«
Sie ließ ihm keine Zeit für eine Entgegnung, sondern eilte davon. Schnell befahl sie einem Diener, ihm Wein zu servieren. Sie fühlte sich verwirrt und ängstlich, und, im Gegensatz dazu, verärgert über das Verhalten des Mannes. Bei der Art, wie er sich benahm, hätte man denken können, Ranulf sei ihm ein lieber Sohn, dabei hatte er ihn in Wirklichkeit kaum anerkannt. Oder wollte der Mann an Ranulfs Vermögen teilhaben? Das würde seine Begeisterung dafür erklären, daß Ranulf nun Herr von Clydon war, nicht aber seinen Stolz auf diesen Sohn, der schon spürbar geworden war, als er noch dachte, Reina habe Ranulf nur in ihre Dienste gestellt.
Tatsächlich wußte Reina nicht, was sie denken sollte. Sie mußte damit rechnen, daß Ranulf ihr nicht alle Fakten mitgeteilt hatte, aber seine Bitterkeit hatte sich nicht wegleugnen lassen. Diese Bitterkeit hatte Reina dazu veranlaßt, jenen herzlosen Vater abzulehnen. Wenn Ranulf den Mann nicht liebte, hatte er gute Gründe, ob Reina alle Fakten kannte oder nicht.
Wenn sie nun an Ranulfs Bitterkeit dachte, wurde sie noch ängstlicher. In ihrer Scham über ihr eigenes Verhalten hatte sie den Mann willkommen geheißen. Das hätte sie nicht tun sollen. Wenn Ranulf sich weigerte, ihn zu empfangen, oder – noch schlimmer – seine Abreise forderte, mußte Reina sich noch mehr schämen. Wenn einmal Gastfreundschaft gewährt war, kam das einem Friedensangebot gleich. Sie konnte nicht rückgängig gemacht werden, es sei denn, der Gast störte mutwillig den Frieden.
Doch Reina vergaß all diese Überlegungen, als sie Ranulf noch im Bett vorfand. Er war wach und beobachtete sie. Sofort suchte sie nach Anzeichen von einer Erkrankung. Es gab keine, aber Ranulf mußte ernsthaft etwas fehlen, sonst wäre er längst aufgestanden, zumal er einen seiner Männer nach Warhurst hatte schicken wollen, um die Leute in der Stadt zu befragen. Reina machte sich Vorwürfe, daß sie nicht früher nach ihrem Mann geschaut hatte.
»Sie hätten mich rufen lassen sollen.« Die Nüchternheit ihrer Stimme stand im Gegensatz zu der zärtlichen Handbewegung, mit der sie Ranulfs Stirn und Hals befühlte. »Sie sind nicht heiß«, sagte sie mit besorgter Miene. »Welche Unpäßlichkeit plagt Sie?«
Ranulf sah sie einen Moment verblüfft an, dann antwortete er: »Es sitzt tiefer.«
Ihr Blick fiel auf seinen Magen, der vom Leintuch nicht bedeckt war. Ganz sanft legte sie die Finger auf die Stelle. Gleich spannten sich Ranulfs Muskeln an – ein Zeichen, daß er Schmerzen spürte. Reina erschrak heftig, denn die Situation war schlimmer, als sie gedacht hatte.
Ihr Hals schnürte sich vor Angst um ihren Gatten zusammen, und sie wisperte: »Ist es hier?«
Er krächzte. »Tiefer.«
Ihr Blick wanderte weiter, füllte sich mit Argwohn und kehrte zurück, um sich mit seinem zu treffen. »Dort, eh? Was könnte dort weh tun?«
»Eine höchst schmerzhafte Schwellung … «
»Ohhh!«
»Was?« Er grinste über ihre Empörung.
»Verflucht, Ranulf! Ich dachte, Sie wären ernsthaft krank. Erschrecken Sie mich je noch einmal so … « Das Bedürfnis, ihm einen Schlag zu versetzen, war zu stark, und als er weiterhin grinste, gab sie dem Drang nach.
»Au!«
»Das geschieht Ihnen recht«, stellte sie fest. »Jetzt habe ich etwas zu behandeln.«
Er rieb seine
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