Fesseln der Leidenschaft
sagen, doch sie gab nur einen seltsamen Laut von sich und schloß dann den Mund. Aber ihre eisblauen Augen sprachen Bände, und Ranulf wußte, daß hier das letzte Wort noch nicht gefallen war. Wenn seine Eingeweide später auf dem Boden verstreut liegen würden, wußte er, daß Reina Rache geübt hatte.
Momentan hatte er seine Frau sprachlos gemacht, und das war keine kleine Leistung. Mit einem Blick, der einem tödlichen Bannstrahl glich, schritt sie davon und ließ Ranulf mit seinem Vater allein. Der ältere Mann schien von diesem letzten Schlagabtausch peinlich berührt zu sein.
»Das war … «, begann er vorsichtig, dann änderte er seine Absicht. »Lassen wir das.«
»Du kannst deine Meinung schon sagen«, stellte Ranulf in neutralem Ton fest. »Ich beabsichtige, dasselbe zu tun.«
Hugh verstand die Andeutung. »Sehr gut. Das war ziemlich unritterlich von dir. Sie ist schließlich deine Frau.«
»Eben: meine Frau. Und du bist nicht berechtigt zu beurteilen, was zwischen ihr und mir geschieht, nachdem du nicht weißt, was vorangegangen ist. Es genügt, wenn ich sage, daß sie Schlimmeres als das verdient, und sie weiß es auch, sonst hätte sie mich mit ihrer scharfen Zunge in Stücke geschnitten. Ich denke, du hast schon eine Kostprobe von ihr erlebt und weißt, wovon ich rede.«
»Das hatte ich schon vergessen«, gab Hugh zu. »Sie ist wirklich nicht auf den Mund gefallen.«
»Sie behauptete, du seist zu dickfellig, um das zu merken.«
Jetzt lachte Hugh. »Keineswegs – ich war eher bezaubert. Es war erfrischend, einer Frau zu begegnen, die sich weder von meinem Rang beeindrucken noch von meiner Größe einschüchtern oder von einem Lächeln einwickeln ließ. Das ist mir bisher noch nie passiert.«
»Du hast nichts von deiner Wirkung auf Frauen eingebüßt, alter Herr, falls du das befürchtest. Reina war auch bei ihrer ersten Begegnung mit mir ungerührt.«
»Aber du hast mißverstanden, was ich betonen wollte. Eine Dame kann eine wahre Xanthippe sein, und dennoch muß ein Ritter sich hüten, sie zu verspotten oder zu beleidigen, wenigstens in Gesellschaft.«
»Geht es wieder um Ritterlichkeit?« meinte Ranulf verächtlich. »Wie kommst du auf die Idee, daß ich solche Tugenden in Montfort gelernt haben könnte?«
Hugh war so anständig zu erröten. »Ich sagte dir, daß ich nicht wußte, was für ein Mann Montfort war, jedenfalls nicht, bis ich ihn während deines Trainings traf. Mein Vater besorgte die Stelle für dich. Lord Montfort war ein alter Freund von ihm. Man hatte mir versichert, du seist willkommen und würdest den besten Unterricht genießen. Ich wurde auch über deine Erfolge auf dem laufenden gehalten, die mehr als bemerkenswert waren. So wunderte es mich nicht, daß du deine Sporen schon in solch jungen Jahren verdientest. Ich war neunzehn, ehe ich zum Ritter geschlagen wurde. Selbst mein Vater war von deinen Fähigkeiten beeindruckt.«
»Glaubst du, es interessiert mich, was dieser alte Mann dachte?« Ranulf konnte seine Bitterkeit nicht länger verbergen. »In all den Jahren, in denen er ins Dorf kam, um meine Entwicklung zu überprüfen, hatte er keine einzige Freundlichkeit für mich, nicht einmal … «
»Was sagst du da?« unterbrach Hugh ihn scharf.
»War es zuviel verlangt, wenn ein kleiner Junge auf ein gutes Wort oder einen liebevollen Blick von seinem Großvater hoffte?«
»Lieber Gott, was sagst du da, Ranulf? Er wußte doch nichts von deiner Existenz. Ich wußte nichts von deiner Existenz. Du warst neun Jahre alt, als er mir von dir erzählte, und er schwor, gerade erst gehört zu haben, daß es dich gab.«
Ranulf konnte nichts anderes tun, als ihn sprachlos anzusehen, und dabei hatte er das Gefühl, als würden ihm die Gedärme aus dem Leib gerissen. Konnte sich der Kern seiner tiefen Bitterkeit – daß sein Vater ihn so sehr verachtete, daß er seine Existenz in den ersten fünf Lebensjahren überhaupt nicht anerkannte – auf diese Weise auflösen? Niemals war ihm der Gedanke gekommen, sein Vater könnte nichts von ihm wissen. Wie war das aber auch möglich? Sein Großvater hatte von ihm gewußt.
Mit tonloser Stimme sagte Ranulf: »Er log.«
»Das gibt es nicht!« meinte Hugh.
»Gut.« Ranulf seufzte. Seine innere Zerrissenheit ließ ihn keinen Kummer spüren. »Dann habe ich gelogen.«
Ein kurzer Ausdruck reiner Qual huschte über Hughs Züge, und Ranulf war bis ins Mark erschüttert. »Nein, ich weiß, daß du nicht lügst. Heiliger Jesus, kein Wunder,
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