Fesseln der Leidenschaft
»Es wird auch von niemandem sonst jemals Hilfe nötig sein. Und sollte ein ganz außergewöhnlicher Fall eintreten, könnten wir mit Shefford rechnen.«
Ranulf hatte ein seltsames Gefühl, als sie ›wir‹ sagte. In seinem bisherigen Leben hatte es nie ein ›Wir‹ gegeben. Und diese Frau bewies, daß sie vernünftig sein konnte, wenigstens bei dieser Unterredung. Natürlich ließ er die Bedingungen außer acht, die sie immer noch vertraglich besiegelt haben wollte. Als er daran dachte, hob er sie hoch, so daß ihr Gesicht auf gleicher Höhe mit seinem war.
»Wir stimmen jetzt überein und können dieses Geschäft zu Ende bringen, aber eines sei Ihnen klar, kleiner General: Sie mögen sich für immer davor bewahrt haben, meine Fäuste zu spüren, aber wenn Sie es verdienen, wird Ihr Hinterteil mit der Innenfläche meiner Hand Bekanntschaft machen. Sie werden mich also nicht nach Lust und Laune provozieren können.«
Er stellte sie auf den Boden und zog sie zurück in den Raum, der für die Zeremonie bestimmt war. Reina und Ranulf leisteten den Eid und gaben sich den Friedenskuß. Frieden? Die junge Frau fragte sich, ob sie diesen Zustand je wieder erleben würde.
15
Reina fand es schwierig, sich damit abzufinden, daß sie vor einem Mann Angst hatte, nachdem sie nie zuvor Furcht vor einem Menschen empfunden hatte. Sie war behütet aufgewachsen, fern von den rauhen Realitäten, die andere Frauen erleiden mußten, doch nicht blind diesen Gegebenheiten gegenüber. Sie war von ihren Eltern geliebt und verwöhnt worden; dann, nach dem Tod der Mutter vor sechs Jahren, hatte ihr Vater sie noch mehr verhätschelt. Sie war nicht einmal zur Erziehung nach Shefford geschickt worden, da ihre Mutter ihr einziges Kind nicht aus den Augen lassen wollte. Reina hatte daheim gelernt, mit der Nadel und dem Weberschiffchen umzugehen, zu lesen, zu schreiben, Latein, Französisch und sogar das selten benutzte Englisch zu sprechen. Sie wußte alles Wissenswerte über die Führung eines Landgutes, sowohl im Inneren des Hauses wie auch draußen. Sie konnte sogar finanzielle und gesetzliche Entscheidungen treffen, obwohl sie diese meist langweilig fand und gern zugab, daß ihr Geldgeschichten nicht lagen.
Natürlich hatte sie sich auch vorher schon gefürchtet – als ihre Mutter starb, als ihr Vater zum Kreuzzug aufbrach und sie allein zurückließ, um Schloß Clydon vorzustehen, nur unterstützt vom Rat einiger Vasallen – und bei der Nachricht vom Tod ihres Vaters. Als Falkes de Rochefort seine Krieger gesandt hatte, um sie zu rauben, hatte sie vor deren eventuellem Erfolg Angst gehabt, aber nicht vor de Rochefort persönlich. Nicht einmal in jener Nacht hatte er Furcht in ihr erweckt, als er in ihr Zimmer geschlichen war, um sich in übler Absicht auf sie zu stürzen. Sie war nur wütend gewesen, so wütend, daß sie ihn bei seinem Rückzug in den Schloßgraben hatte werfen lassen.
Falls es ihm gelungen wäre, sie zu überwältigen und irgendwie zur Heirat zu zwingen, hätte sie ihn vielleicht gefürchtet – genügend, um ihn zu töten. Ihr Vater hatte ihn nie gemocht, und sie hatte auf sein Urteil gebaut. Aus diesem Grund hatte sie Sir Falkes als Heiratskandidaten nie in Betracht gezogen.
Doch nun hatte ein anderer sie bekommen, und vor dem hatte sie Angst, obwohl sie nicht daran dachte, ihn zu töten. Schon einen Versuch hätte sie gar nicht gewagt – und sie hätte es auch gar nicht gewollt. Die Furcht war zwar vorhanden, doch sie war nicht grenzenlos, und sie entstammte einem anderen Urgrund.
Im Moment allerdings erwies sie sich als verzehrend, denn Reina ritt ins Lager zurück und der angekündigten körperlichen Vereinigung entgegen. Davon abgesehen verdiente der Mann es jedoch, daß vorhandene Zweifel zu seinen Gunsten ausgelegt wurden. Reina war einverstanden gewesen, ihn zu nehmen. Er war nicht ihre erste, nicht einmal ihre zweite Wahl, doch er hätte die dritte sein können, wenn er der Herrin von Clydon unter veränderten Umständen präsentiert worden wäre. Schließlich hatte Fitz Hugh eine Menge Positives zu bieten.
Reina würde gewiß niemals müde werden, ihn anzuschauen, obwohl sie nicht so dumm war, ihn wissen zu lassen, wie attraktiv sie ihn fand. Sie hatte gesehen, wie er sein Schwert handhabte, und seine Geschicklichkeit wirkte höchst beeindruckend – mehr noch, wenn man seinem Freund Walter glauben durfte. Ranulf war daran gewöhnt, Männer anzuführen, und nicht nur das – sie wollten sich von ihm
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