Fesseln der Leidenschaft
obwohl es immer noch Damen gab, die den Blick nicht von ihm abwenden konnten. Walter hatte recht. Er benahm sich so nervös wie jeder Bräutigam und machte einen Narren aus sich, nur weil Reina sich mit Sir Henry in einen der abgetrennten Räume zurückgezogen hatte.
»Ich hätte schwören können«, sagte Walter in seine Überlegungen hinein, »daß du der Mann warst, den man zu seinem Glück zwingen mußte, und jetzt machst du eine Sache von Leben oder Tod daraus, ob du die Lady bekommst oder nicht.«
»Du hast wohl Lust auf einen Zweikampf?«
Walter lachte vor sich hin. »Du würdest mich am liebsten aufspießen, nicht wahr? Erzähl mir lieber, was dich zugunsten von Clydon beeinflußt hat.«
»Du weißt ganz genau, daß ich mich gegen die Heirat mit einer Lady wehrte, nicht gegen Clydon.«
»Ja, ich weiß es. Und die Lady ist noch immer untrennbar mit dem großen Preis verbunden. Wieso hast du deine Meinung über sie geändert?«
»Ich habe meine Meinung nicht geändert! Ich traue der Dame immer noch nicht über den Weg, aber wie du sagst – mit dem Preis muß ich auch sie nehmen.«
»Bisher hat sie sich an alle Vereinbarungen gehalten.«
»Walter, du bist eine Plage!«
Walter überhörte geflissentlich die Warnung. »War die Lady vielleicht nicht korrekt? Sie hat dich so großartig präsentiert, daß jeder ihrer Männer ganz wild darauf ist, dir die Lehenstreue zu schwören – und nicht nur das: Sie mögen dich!« Nun machte Ranulf ein finsteres Gesicht, und lachte laut. »Selbst jetzt bemüht sie sich, das letzte mögliche Hindernis aus dem Weg zu räumen.«
»Tatsächlich?«
»Ist es das, was dich bekümmert? Wie kannst du befürchten, sie würde im letzten Moment alles umwerfen, was sie bisher aufgebaut hat? So eine Idee entbehrt jeder Vernunft!«
»Frauen denken anders als Männer, und jetzt ist der richtige Augenblick, das Schwert zu ziehen, wenn keiner mehr damit rechnet. Weißt du, wo sie schläft? Nicht bei mir. Sie betrachtet sich noch nicht als richtig verheiratet.«
Walters Mund blieb einen Moment offen, dann lachte der Mann schallend. »Unglaublich! Ich hätte wissen müssen, daß deine Rastlosigkeit eine besondere Bedeutung hat. Bei Gott, Ranulf, wenn du eine Frau brauchst, warum nimmst du dir keine? Hier gibt es doch Dutzende, die dir gern zu Gefallen wären.«
Ranulf antwortete nicht. Er mochte nicht erwähnen, was ihm die Suppe versalzen hatte. Jedesmal, wenn er sich einer Dirne hatte nähern wollen, war ihm aufgefallen, daß dieser verfluchte Lustknabe Theodric ihn beobachtete, so, als könne der Junge Gedanken lesen. Es war äußerst frustrierend, doch er wollte nicht riskieren, Reina zu verärgern, ehe sie in den Augen ihrer Leute seine Frau geworden war. Ranulf zweifelte nicht daran, daß ihre ›Zofe‹ seine Pläne absichtlich durchkreuzte. Und je mehr man ihm eine Bettgenossin versagte, um so mehr wünschte er sich eine.
Doch Reina würde ihn öffentlich als Wüstling anprangern, wenn er nicht für ein paar Tage enthaltsam sein könnte. Diese Genugtuung würde er ihr nicht gönnen. Damen liebten es, Sitte und Moral zu predigen, selbst, wenn sie es genauso schlimm trieben wie ihre Ehemänner. Diese verfluchte Bande!
»Walter, du hängst wohl nicht an deinem Leben?«
»Schon gut, schon gut, ich will dich nicht mehr schikanieren. Aber wenigstens habe ich dich ein bißchen von den Vorgängen in jenem speziellen Raum abgelenkt. Weißt du, ich habe schon meine Gründe.« »Aber er hat keinen Besitz, Lady Reina, nicht einmal einen Bauernhof. Wie konnte Ihr Vater ihn dennoch aus allen wohlhabenden Bewerbern wählen?«
Reina hatte sich wegen dieses Gesprächs keine Sorgen gemacht. Henry war ein kleiner Mann, nicht größer als sie und von schmächtiger Statur, doch während Lord Guys Abwesenheit hielt er die Macht, die Shefford verkörperte, in Händen. Aber er sonnte sich nicht in dieser Macht. Er war sensibel und intelligent. Eine vernünftige Erklärung war alles, was Reina bereithalten mußte, um ihm ihren Standpunkt nahezubringen.
»Ein Mann, der keine anderen Verpflichtungen oder wichtigen Aufgaben hat, wird sein ganzes Augenmerk auf Clydon richten«, sagte sie. »Mein Vater wünschte sich nicht so sehr eine Vergrößerung Clydons, als seinen Schutz und die Aufrechterhaltung seines guten Zustandes. Sir Ranulf hat keinen anderen Oberherrn, der ihn in seiner Gefolgschaftstreue dem Grafen gegenüber in Konflikte bringen könnte, wie es fast jedem anderen Lord ergehen würde.
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