Fesseln der Leidenschaft
hören. Ranulfs ritterliche Fähigkeiten in bezug auf das Schwert konnte niemand bezweifeln. Es waren seine ritterlichen Manieren, oder vielmehr deren Fehlen, was ihr zu denken gab.
Während sie Walters Erzählungen von dem Kampf lauschte, in dem Ranulf schon in so frühen Jahren zum Ritter geworden war, beobachtete sie ihren Mann, der am gegenüberliegenden Ende der Halle mit seinen beiden Knappen sprach. Sie war nicht die einzige, die ihn beobachtete. Es schien, als hätten auch alle ihre Damen einen Grund, in diese Richtung zu blicken. Sie seufzte unhörbar. Einen Ehegatten zu haben, der so vielen Frauen gefiel, konnte nur Probleme heraufbeschwören. Nicht für sie selbst, natürlich, sondern für diese armen Frauen.
Sie hatte nie erwartet, ihren Mann zu lieben. Sie hatte gehofft, in Frieden mit ihm zu leben, ihn zu respektieren, sich auf ihn verlassen zu können. Die Erfüllung nur eines dieser Kriterien war nicht ausreichend.
Doch sie war unfair und voller Vorurteile. Sie kannte Ranulf immer noch nicht gut genug. Sie hoffte, daß es Gründe dafür gab, daß er so war, wie er war. Deshalb hatte sie Walter zu sich gerufen. Er sollte ihr von ihrem Mann erzählen. Und sie hatte recht. Es gab Gründe.
Sie hatte bereits erfahren, daß seine Kindheit sehr hart gewesen war. Er war ohne die Fürsorge einer Frau aufgewachsen, in Abhängigkeit von den Launen und schweren Fäusten eines brutalen Mannes, und wegen seiner Unehelichkeit sowohl von den Adeligen als auch von den Bauern gemieden. Es war kein schönes Bild, das Walter für Reina malte. Dann hörte sie noch von Lord Montfort, der Ranulfs Los nicht verbesserte, denn mit ihm tauschte der junge Riese nur einen flegelhaften Meister gegen den anderen ein.
»Sie hören mir nicht zu, meine Lady.«
Sie errötete leicht und schenkte Walter ein verlegenes Lächeln. »Geschichten von Schlachten und vergossenem Blut haben mich nie sehr gefesselt. Erzählen Sie mir lieber, warum Ranulf Damen von Rang nicht leiden kann.«
»Wie kommen Sie darauf … «
»Versuchen Sie nicht, Ausflüchte zu machen, Herr, oder läßt Ihr Gedächtnis Sie im Stich? Von Ihnen selbst weiß ich, daß er Damen nicht mag – Sie sagten es, als Sie mir eine Heirat mit ihm empfahlen. Ich sehe, daß Sie sich jetzt erinnern. Also erzählen Sie mir, was ihn vermutlich gegen adelige Damen aufgewiegelt hat.«
Walter wand sich ungemütlich. »Er wird nicht wollen, daß Sie das erfahren.«
»Aber Sie werden es mir in jedem Fall erzählen.« Ihre Stimme war weich wie Seide, ihr Gesichtsausdruck jedoch unerbittlich. »Wegen Ihrer glatten Zunge bin ich mit einem Mann verheiratet, von dem ich nicht einmal weiß, ob ich ihn überhaupt mag. Sie schulden mir eine Auskunft, Sir Walter.«
Nun errötete Walter schuldbewußt. »Er wird mich töten, wenn ihm zu Ohren kommt, daß ich es Ihnen verraten habe.«
»Das werde ich mir merken.«
Ihr Ton war kein bißchen beruhigend, er schien eher anzudeuten, daß sie sich an diese Voraussage erinnern würde, sollte sie Walter einmal loswerden sollen. Aber Walter zuckte die Schultern. Das letzte, was er sich wünschte, war, daß Reina ihren Mann haßte – und das konnte leicht passieren, wenn sie ihn nicht besser verstand. Und wenn Ranulfs Vergangenheit an ihr weibliches Herz rührte, würde Walter seinem Freund keinen schlechten Dienst erweisen.
»Also gut«, sagte Walter. »Aber zuerst müssen Sie wissen, daß Ranulf immer Schwierigkeiten mit Frauen hatte.«
Reina schnaubte. »Mit diesem Gesicht?«
Er sah sie stirnrunzelnd an. »Wegen dieses Gesichtes. Vielleicht würden manche Männer ihre Seele verkaufen, um so wie er auszusehen, aber Ranulf war nie dankbar für seine Schönheit. Abgesehen davon, daß er das Ebenbild seines Vaters ist, dessen Namen man vor ihm nicht einmal erwähnen darf, wurde er schrecklich gehänselt, als er nach Montfort kam.«
»Aber das ist unter Jungen doch normal.«
»Ja, und er nahm es auch lässig hin, in der Vermutung, daß er eben etwas mehr als die anderen aufgezogen würde – bis zu dem Tag, als er sein eigenes Spiegelbild sah. In diesem Dorf gab es keine Spiegel, auch keine klaren Tümpel, die ein Bild zurückgeworfen hätten. Ranulf wußte nicht, wie er aussah. Aber dann hielt ihm einer der älteren Knappen von Montfort eines Tages aus reiner Bosheit einen Spiegel vors Gesicht, um Ranulf zu zeigen, daß er das ›hübsche Mädchen‹ war, als das man ihn immer voller Spott bezeichnete.«
»Und er war entsetzt«, mutmaßte
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