Fesseln der Leidenschaft
Reina.
»Ja. Er verprügelte den Burschen kräftig, der ihn so rücksichtslos ›aufgeklärt‹ hatte. Danach wurde er nicht mehr viel verhöhnt, aber nun wußte er auch, warum ihm die Mädchen nachliefen, und es stieß ihn ab. Er hatte gedacht, sie würden in ihm einen Freund sehen. Jetzt war ihm klar, daß nur sein Äußeres sie anlockte.«
»Erwarten Sie von mir, Ihnen zu glauben, daß ihn das nicht entzückte?«
»Nicht in seinen jungen Jahren, Lady. Sie kamen zuhauf, Milch-, Küchen-und Zimmermädchen. Sie kicherten und störten uns im Übungshof. Und die Ritter, die uns trainierten, wußten, wem ihr Interesse galt. Sie schliffen Ranulf härter und länger als den Rest von uns.«
»Aber als er älter war … «
»Oh, er nahm alle Weiber, die sich ihm an den Hals warfen, das dürfen Sie mir glauben. Doch er machte sich nicht vor, daß die Huren etwas anderes wollten, als ihren Freundinnen gegenüber mit der neuen Eroberung prahlen – bis Lady Anne ihn entdeckte. Aber zuerst kam Lady Montfort.«
»Die Frau des Lords?«
»Ja, eine Dame, die ihre Blütezeit schon hinter sich hatte, versuchte, einen Jungen von fünfzehn Jahren zu verführen. Es war lächerlich. Doch die Lady empfand das nicht so, als er sie verschmähte. Sie war wütend und rettete ihren Stolz, indem sie als kleine Rache ihrem Mann erzählte, Ranulf habe sich an ihr vergehen wollen. Ranulf wurde vor den Peers des Lords ausgepeitscht.«
Reina furchte die Stirn. »Hat er sich verteidigt?«
»Oh, keiner glaubte ihre Anklage, nicht einmal Montfort. Aber man kann die Frau eines Lords nicht als Lügnerin bezeichnen, deshalb wurde Ranulf bestraft. Die Angelegenheit machte Lady Anne, das Mündel von Montfort, auf ihn aufmerksam. Sie war nur ungefähr ein Jahr älter als Ranulf und ein reizendes Ding, mit einem Lächeln, das einen ganzen Raum erhellte, und Augen wie … «
»Werden Sie nicht poetisch, Sir«, meinte Reina mit leisem Widerwillen. »Sie war also schön – das können Sie doch sagen.«
Walter grinste dümmlich. »Ja, sie war wirklich sehr schön, und jeder Page, Edelknabe und Ritter war ein bißchen verliebt in sie.«
»Sie selbst inbegriffen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Doch als Lady Anne Ranulf sah, hatte sie keine Augen mehr für irgendeinen anderen – jedenfalls erschien es so. Sie schlich sich in sein Gemach, als er wegen der Auspeitschung ans Bett gefesselt war, und zu dieser Zeit begann ihre Affäre. Wie Sie sich vorstellen können, war er völlig betört, und er glaubte dasselbe von ihr.«
»Falls Sie jetzt behaupten wollen, daß ein gebrochenes Herz seine Abneigung verursachte … «
»Ich wünschte, das wäre es gewesen, Lady, aber wenn Sie nicht geduldig genug sind, mir zuzuhören … «
Hatte ihre Stimme vielleicht intolerant geklungen? Was war los mit ihr? Nun, sie lauschte Geschichten, die von ihrem Mann und anderen Frauen handelten. Sie hatte diese Geschichten doch hören wollen.
»Fahren Sie fort, Sir Walter, und ich werde mich bemühen, meine voreiligen Schlüsse zurückzuhalten.«
Da dies einer Entschuldigung wegen der Unterbrechung gleichkam, nickte er, und sein Gesicht wurde so ernst, wie sie es noch nie gesehen hatte. »Die Leidenschaft der beiden füreinander dauerte monatelang, doch unvermeidlich kam der Tag, da die Verbindung Früchte trug. Lady Anne beichtete Ranulf, daß sie ein Kind erwarte.«
Reina war nicht sonderlich überrascht. Es hätte sie mehr gewundert, wenn ihr Mann keinen illegitimen Nachwuchs gezeugt hätte. Daß er es mit einer Lady getan hatte, war nicht so alltäglich, aber auch nicht ganz und gar außergewöhnlich. Sein adliger Halbbruder war ein Beispiel dafür.
Ohne Mißbilligung fragte sie: »Haben sie geheiratet?«
»Nein. Er wollte es unbedingt. Er war vernarrt in Anne. Er wollte sein Kind. Aber Anne wollte ihn nicht. Oh, sie ließ ihn noch eine Weile zappeln und dachte sich eine Entschuldigung nach der anderen aus, warum sie Lord Montfort noch nichts von einer geplanten Hochzeit sagen sollten. Aber Ranulf ließ nicht locker, und schließlich gab sie dem Druck nach. Sie konfrontierte Ranulf mit der Wahrheit: Sie beabsichtige nicht, einen besitzlosen Knappen zu heiraten – unter keinen Umständen. Sie besaß ein Landhaus, aber Montfort hatte ihr versprochen, ihr aufgrund ihrer Schönheit einen reichen Mann zu besorgen, und das war alles, was sie sich wünschte. Sie lachte, als Ranulf von ihrer gegenseitigen Liebe sprach, und erklärte, in ihren Augen sei Reichtum das
Weitere Kostenlose Bücher