Fesseln der Sehnsucht
sah dem Paar gefasst entgegen und stellte zu ihrem Erstaunen fest dass Daniels Anblick nach so vielen Monaten ihr nicht wie erwartet einen Schock versetzte.
»Fröhliche Weihnachten«, grüßte Lucy und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Ihr seid in der Tat ein hübsches Paar.
»Lucy!«, rief Sally freudig erregt. Ihre glänzenden goldenen Löckchen tanzten, als sie der einstigen Freundin entgegeneilte und sie flüchtig umarmte. »Du siehst wundervoll aus! Dein Kleid ist der letzte Modeschrei und deine neue Frisur …«
»Schwatz nicht, Sally«, wies Daniel sie gewohnheitsmäßig zurecht und seine dunklen Augen suchten Lucys Blick.
Nein, Daniel hatte sich nicht verändert. »Ihr seht beide gut aus«, sagte Lucy und sah ihn unverwandt an. Er war hübsch und gepflegt wie immer; das schmale Bärtchen hatte er zu einem stattlichen, an den Enden hochgezwirbelten Schnauzer wachsen lassen. Er war etwas zu jung für diesen Bartschmuck, der ihn jedoch gut kleidete. Er trug einen Anzug, dessen Gehrock, Weste und Hose aus demselben Material geschneidert waren. Ruhig und selbstsicher wie immer schenkte er ihr ein höfliches Lächeln und seine Augen registrierten jede Veränderung an ihr. Obgleich Lucy nichts mehr für ihn empfand als distanzierte Sympathie, war sie froh zu wissen, dass sie gut aussah und er keinen Makel an ihrer Erscheinung entdecken konnte.
Ob er sich noch an die schreckliche Szene erinnerte, als sie vor aller Welt in Ungnade gefallen war und ihn angefleht hatte, sie nicht im Stich zu lassen? »Mit der Frau, die aus dir geworden ist, will ich nichts zu tun haben«, hatte er gesagt. Damals hatte sie nicht begriffen, was er meinte, heute wusste sie es.
Wie lang das alles her war! Lucy war sehr erleichtert, nicht mit Daniel verheiratet zu sein, so sehr, dass ihr die Knie schwach wurden. Zugegeben, er war ein rechtschaffener Mann, seine Gefühle waren beständig und besonnen, er war höflich und zivilisiert. Aber als Daniels Ehefrau hätte sie niemals das erlebt, was sie an Heath so schätzte: seine Leidenschaft, sein stürmisches, heftiges und zugleich sanftes Temperament; seine oftmals grobe und dann wieder zärtliche Zuwendung; seine Forderungen; seinen Ehrgeiz; und auch seine Geheimnisse.
Daniels Miene veränderte sich unmerklich, während er sie musterte, als erinnere er sich an längst vergangene Zeiten. Lucy stellte zu ihrem Befremden fest dass die Distanz zu dem Mann, den sie einst geliebt hatte, nur in der Erinnerung zu überwinden war.
»Wollt ihr bald heiraten?«, fragte sie.
»Im Frühling wahrscheinlich«, antwortete Daniel.
»Aha«, bemerkte sie und nickte verständnisvoll. Wie immer, wie immer bald, wie immer etwas später. Drei Jahre hatte er Lucy mit diesen Versprechungen hingehalten. Mitleid für Sally stieg in ihr hoch. »Sorge dafür, dass er Wort hält«, sagte sie an Sally gewandt. Die hübsche Blondine lachte munter, ohne zu ahnen, welche Warnung in den Worten der einstigen Freundin lag. Daniel hingegen entging der Hinweis nicht, und er schien ein wenig verlegen.
»Aber natürlich sorge ich dafür«, kicherte Sally. Lucy hatte plötzlich das starke Bedürfnis, Heath zu finden, und entfernte sich mit einem Kopfnicken.
Als sie in einen kleinen Salon spähte, spürte sie einen starken Arm um ihre Mitte, dann wurde sie unsanft in das leere Zimmer geschoben. Eine leise spöttische Stimme raunte an ihrem Ohr.
»Neu erwachte Liebe nach langer Zeit. Wie rührend.«
Lucy entspannte sich, als sie erkannte, wer sie so intim überfallen hatte. »Du hast mich erschreckt.«
Sie drehte sich in seinen Armen um und entdeckte Spott in seinen Augen und ein verhalten zorniges Funkeln. »Hast du mich etwa beobachtet, wie ich Sally und Daniel begrüßte?«
»War das wirklich Daniel? Ich habe ihn kaum erkannt mit seiner Bürste im Gesicht.«
»Mach dich nicht über ihn lustig.« Heath ließ sie – abrupt los. »Verzeihung. Ich vergaß, dass du schon immer in sein Bärtchen verliebt warst.«
»Wieso, um Himmels willen, bist du so gereizt?« Ohne auf eine Antwort zu warten, wollte sie zur halb offenen Tür. »Man wird unsere Abwesenheit bemerken. Ich möchte nicht dass die Gäste denken …«
Er hielt sie am Arm fest und drehte sie zu sich um. »Ich würde gerne wissen, worüber ihr beiden geredet habt.«
Lucy bekam große verwunderte Augen. »Ich begreife nicht, wieso du wütend bist.«
»Sag bloß, du hast nicht bemerkt, wie er dich ansah.«
»Was kann ich dafür, wie er mich ansah?«,
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