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Fesseln der Sünde

Fesseln der Sünde

Titel: Fesseln der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Campbell
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in die Audienzhalle zerren. Ich hatte ihn vorher nur von weitem gesehen. Sie nannten ihn den Elefanten von Rajasthan. Das Fett hing in riesigen Falten an seinem Körper herunter. Er trug eine Kette aus Perlen so groß wie Taubeneier. Sie muss eine Tonne gewogen haben.«
    »Er wusste trotz deiner Verkleidung, dass du Brite warst?«
    Bei der Erinnerung daran stellten sich ihm die Nackenhaare auf, und seine herunterhängenden Hände ballten sich zu Fäusten. »Wir mussten uns vor den Augen seines Hofstaates entkleiden.«
    Er sah, wie sie ihn verständnislos anschaute. Manchmal vergaß er, wie wenig seine Landsleute über den indischen Subkontinent wussten. »Wir gaben uns als Muslime aus, aber keiner von uns war beschnitten.«
    Über ihre Wangen huschte eine süße, zarte Röte, die selbst in dem flackernden Kerzenlicht sichtbar war. »Oh.«
    »Ich bin überrascht, dass du weißt, was ich meine.«
    »Ich hatte freien Zugang zur Bibliothek meines Vaters. Er hatte ein paar ungewöhnliche Bücher.« Sie hielt inne. »Und außerdem kommt es auch in der Bibel vor.«
    Wieder fiel ihm auf, wie geheimnisvoll diese Frau war, geheimnisvoller als alle, die ihm in Indien je begegnet waren.
    »Wir haben einen Abend lang für Unterhaltung am Hof gesorgt.« Gideon sprach schnell, in der Hoffnung, es würde ihm das Erzählen erleichtern. Das tat es nicht. »Wir wurden ausgepeitscht.«
    Er schluckte heftig und versuchte, sich nicht an den durchdringenden Schmerz der Peitschenhiebe, das erstickte Stöhnen und die Schreie von Gerard und Parsons zu erinnern.
    »Er wollte dich erniedrigen.« Charis’ Gelassenheit war überraschend, beeindruckend, doch er bemerkte das Zittern ihrer Hand, die sie hinter dem Stuhl hielt.
    »Uns und die anmaßende britische Nation. Er wollte auch Informationen, doch auf die konnte er warten, bis seine Experten uns in die Finger bekamen. Diese Vorstellung war nur zur Unterhaltung gedacht.«
    »Du hast nicht um Gnade gebeten.« In ihrer Stimme schwang Gewissheit. Die Knöchel ihrer zartgliedrigen Hand traten weiß hervor, als sie den Stuhl umklammerte.
    »Ich hatte zu viel dummen Stolz, was bedeutete, dass ich um einiges länger geschlagen wurde als die anderen.« Bis er bewusstlos auf dem Marmorboden zusammengebrochen war. Damals hatte er gedacht, er hätte die tiefste Erniedrigung erfahren. Wie naiv er doch gewesen war. »Dann brachten sie uns fort und folterten uns.«
    O Gott, bitte lass sie nicht nach seiner Folter in den Kerkern des Nawabs fragen. Die Erinnerungen daran waren noch so lebendig, als hinge er immer noch in Ketten an den tropfenden, stinkenden Wänden. Nichts auf der Welt konnte ihn dazu bringen, ihr über diese üble Hölle zu erzählen. Ein Ort, an dem es weder Tag noch Nacht gab. Nur Dunkelheit, Blut, Schmutz und Schrecken im Schein der Fackeln.
    Und dann diese Teufelsinstrumente. Die endlose Folter. Die traurige Gewissheit, nicht gerettet zu werden. Nur Schmerz, Tod und kein Entkommen.
    »Gideon …« Sie senkte den Blick und holte zitternd Luft. Doch da hatte er schon die Tränen in ihren Augen schimmern sehen.
    Ihr Anblick, so zitternd und leidend, riss ihn aus seinem Albtraum. »Ich sollte aufhören. Das erschüttert dich alles zu sehr.«
    Als sie hochsah, funkelten ihre Augen. Er war erstaunt, unter ihrem Elend Zorn zu erkennen. »Natürlich bin ich erschüttert. Du beschreibst, wie du systematisch erniedrigt und gefoltert worden bist.« Ihr schlanker Hals bewegte sich, als sie schluckte. »Wie lange haben sie dich festgehalten?«
    »Ein Jahr. Die meiste Zeit in einem dunklen Loch so groß wie ein Grab.« Seine Stimme war immer noch tonlos, obwohl sein Herz in einem wilden Trommelwirbel schlug, als er sich an die Qualen erinnerte, die er ohnehin nie weit aus seinen Gedanken hatte verdrängen können. Doch in Worte zu fassen, was er hatte ertragen müssen, ließ die widerwärtige Realität wiederaufleben.
    Nun, da die Schleusen geöffnet waren, hinter denen er seine Erinnerungen zurückgehalten hatte, gab es kein Halten mehr für ihn. »Parsons starb in der ersten Woche. Gerard, der arme Teufel, hielt noch einen Monat durch. Nur Gott allein weiß, warum ich nicht auch gestorben bin. Ich wär’s besser. Die Kerkermeister gaben mir gerade genug zu essen, um mich am Leben zu halten. Ich habe nie begriffen, warum. Genauso wenig habe ich begriffen, warum ausgerechnet ich von uns dreien am Leben geblieben bin.«
    Sie ließ den Stuhl los und schlang die Arme um sich. Wie sie so dastand in

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