Fesseln des Herzens
eines Tages grimmig, als Aimee ihm seine Morgenmahlzeit brachte.
Sie hatte die Grütze mit wildem Honig und einigen Früchten versetzt, die sie am Tag zuvor gepflückt hatte, doch selbst dieses köstliche Mahl konnte Ravencroft nicht von seinen Rachegedanken abbringen.
»Was gedenkt Ihr mit ihm zu tun?«, fragte sie, während sie sich ihm gegenüber an dem kleinen Tisch auf einem Schemel niederließ.
»Zunächst werde ich ihn fragen, woher er von der Wolfsjagd wusste«, entgegnete der Baron und begann, die Grütze in sich hineinzulöffeln.
»Glaubt Ihr, dass es an Eurem Hof einen Verräter gibt?«
»Es würde mich zumindest nicht wundern, wenn es Woodward gelungen wäre, einen Spion in meine Burg zu schmuggeln.«
»Ist ihm das denn schon mal geglückt?«, fragte sie.
Ravencroft nickte. »Gewiss. Damals, kurz nachdem ich aus dem Morgenland zurückgekehrt war. Es war einer unser Diener. Er hatte die Stärke meiner Truppen ausgekundschaftet und seinem Herrn davon berichtet. Wenige Tage später fiel Woodward mit seiner Armee in unsere Ländereien ein. Ich konnte sie mit meinen Mannen zwar zurückschlagen, aber leider ist mir der Verräter von damals entwischt. Trotz des misslungenen Streichs wird Woodward ihn reich belohnt haben. Seinem Ansehen beim König hat dieser Streich allerdings nicht sehr geschadet. Obwohl ich ein treuer Vasall Eduards war, schaffte es Woodward durch einflussreiche Freunde, es so aussehen zu lassen, als sei alles nur ein harmloser Zwist unter Nachbarn. Außerdem hatte der König zu der Zeit eigene Sorgen mit seinem Feldzug gegen Wales. Eduard fragte auch bei mir an, ob ich mit ihm gegen die Waliser ziehen würde, doch ich lehnte ab. Vielleicht war das auch der Grund, warum Woodward damals keine Rüge von ihm bekommen hat.«
Aimee hatte nicht die geringste Ahnung, welche politischen Ränke im Land geschmiedet wurden. Sie fragte sich eher, wer der Verräter sein könnte. Bislang hatte sie nichts bemerkt, was auf eine bestimmte Person hindeuten könnte. Aber das hatte nicht viel zu sagen, denn sie hielt sich meist in den Gemächern der Frauen und des Kindes auf. Von dem, was sich im Hintergrund abspielte, bekam sie nur dann etwas mit, wenn die Frauen darüber sprachen. Und das geschah selten, denn viel lieber beschäftigten sie sich mit Tratsch über Kinder und Männer.
Plötzlich fiel der Schäferin die seltsame Begegnung im Stall wieder ein. Die Nachricht an die Unbekannte, deren Stimme irgendwie wie die der Baronin geklungen hatte.
»Wie gut kennt Ihr Henry Fellows?«, fragte sie schließlich.
»Wie meinst du das?«, gab der Baron verwundert zurück. Offenbar zweifelte er kein bisschen an der Loyalität seines Hauptmanns.
»Ich habe vor einiger Zeit beobachtet, wie er sich mit einer Frau in Euren Stallungen traf. Es war der Tag, als er von seinem Vater zurückkehrte. Er besprach sich mit einer Dame, deren Stimme nach der Eurer Gemahlin klang.«
Ravencroft zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Bist du sicher?«
»Ich kann nicht mit Gewissheit sagen, ob es Eure Gemahlin war, aber die Stimme ähnelte ihrer sehr. Fellows berichtete ihr von einem Boten. Sie hatte ihn zuvor gefragt, ob er etwas, das sie nicht näher benannt hatte, überbracht habe, und daraufhin antwortete er, dass der Adressat die Angelegenheit prüfen wolle. «
Der Baron lauschte Aimees Worten mit versteinerter Miene.
Was ging da vor?, fragte er sich. Henry wollte doch eigentlich zu seinem Vater reiten. Warum dann das Treffen mit der seltsamen Fremden? Oder vielleicht sogar mit seiner Gemahlin …
»Du hast wirklich nicht gesehen, wer die Frau war?«
Aimee schüttelte den Kopf. »Nein, dazu war es zu dunkel. Außerdem trug sie einen einfachen Mantel, wie es ihn wohl viele Male auf der Burg gibt. Die Stimme war das Einzige, das mir bekannt vorkam.«
Ravencroft verfiel daraufhin in Nachdenklichkeit. Konnte es sein, dass Henry ihn verraten hatte? Noch dazu zusammen mit seiner Gemahlin, die doch offensichtlich zu schwach zu allem war? Das konnte und wollte er einfach nicht glauben!
Aimees Worten hingegen vertraute er blind. Sie hatte ihn noch nie belogen, sie war seine Lebensretterin. Außerdem hatte sie nur von einer Ähnlichkeit berichtet und Nicole nicht direkt angeklagt.
»Ich werde mich darum kümmern, sobald ich zurück bin«, entgegnete er ein wenig abwesend, denn der Gedanke setzte sich in seinem Verstand fest.
»Bitte versteht mich nicht falsch«, bat die Schäferin, denn sie hatte keineswegs vor,
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