Fesseln des Herzens
sich der Baron und ging zu ihr. Aimee verneigte sich sogleich tief, und als sie sich wieder aufrichtete, überreichte sie ihm den Tontopf.
»Er hätte fürwahr einen Schwertstreich ausgehalten«, bemerkte er lächelnd. »Eine mutige Tat, Aimee. Der Kampf mit einem Wolf kann nicht schlimmer sein.«
Die Schäferin blickte ihn überrascht an, dann begriff sie, von wem er von der Begebenheit erfahren haben musste.
»Es ist kein Schild, Mylord, sondern mein Geschenk für Eure Tochter. Ein Ableger jener Rose, die vor meinem Turm wächst. Es ist das Kostbarste, was ich ihr geben kann.«
Der Baron musterte sie, als wüsste er genau, dass dies nicht stimmen konnte. Errötend schlug Aimee die Augen nieder.
Da trat ein älterer Mann in einem dunkelblauen Wams zu ihnen. »Ein ungewöhnliches, aber gleichwohl edles Geschenk, mein Kind«, sagte er laut und wandte sich dann an den Baron. »Wäre es nicht an der Zeit, die Feier fortzusetzen?«
Ravencroft nickte, und Aimee dachte, dass der alte Mann der Vater der Baronin sein musste. Nicole selbst war leichenblass. Woodwards Auftritt hatte sie offenbar bis ins Mark erschreckt. Celeste, ihre Kammerfrau, fächelte ihr Luft zu und massierte ihr zwischendurch die Schläfen.
»Du hast vortrefflich gesprochen«, sagte der Baron flüsternd zu Aimee und reichte die Rose einem Diener. Dann bedeutete er den Musikanten aufzuspielen, während die Mägde Platten und Schüsseln mit Gesottenem und Gebratenem hereintrugen.
Nach einer Weile trat Henry Fellows neben seinen Herrn und teilte ihm mit, dass Woodwards Fuhre die Burg verlassen habe.
Ravencroft wusste, dass das Verhältnis zwischen ihm und seinem Nachbarn von nun an feindseliger denn je sein würde. Beinahe bereute er, dass er ihn eingeladen hatte. Doch was geschehen war, war geschehen.
Nachdem sie gespeist hatten, ertönte ein Lachen hinter Aimee. Es war so nahe, dass sie zusammenzuckte und fast ihren Wein verschüttet hätte. Als sie sich umwandte, erblickte sie den Mann im blauen Wams.
Er lächelte noch immer und fragte dann: »Wie lautet dein Name, mein Kind?«
»Das ist Aimee, die Hebamme, die Eure Tochter gerettet hat«, antwortete Ravencroft kauend. Der Streit mit Woodward hatte ihm keineswegs den Appetit verdorben.
Aimee errötete. »Ich habe Mylady nur entbunden, wie es meine Pflicht war«, antwortete sie und neigte den Kopf.
»Aimee … Ach, deshalb der ungewöhnliche Name für meine Enkelin!« Der Graf musterte sie lächelnd und sah erst zu seiner Tochter, dann zu Ravencroft hinüber. »Eine gute Wahl, Baron. Sollte ich je noch einmal die Dienste einer Hebamme benötigen, werde ich nach ihr schicken.« Damit beugte er sich zum Baron hinunter und flüsterte ihm ins Ohr: »Wenn Ihr erlaubt, würde ich Euch gern kurz unter vier Augen sprechen.«
Der Baron nickte, nahm noch einen Zug aus seinem Becher und erhob sich. »Verzeih, meine Liebe«, wandte er sich dann an seine Gemahlin, ergriff ihre Hand und küsste sie.
Nicole schenkte ihm ein schwaches Lächeln, dann streifte ihr Blick kurz Aimees Gesicht. Für einen Moment schien etwas hinter ihren Augen aufzuflammen, doch die Schäferin bemerkte es nicht, denn sie sah den beiden Männern nach, die sich aus dem Festsaal zurückzogen.
Als sie verschwunden waren, wandte die junge Frau sich wieder ihrer Mahlzeit zu. Richtigen Appetit hatte sie nicht, denn die Auseinandersetzung mit Woodward wütete noch immer in ihr. Trotzdem zwang sie sich, ein paar Happen zu essen. Das Hühnchen war mit Kräutern gewürzt und schmeckte köstlich, und auch der Wein war vorzüglich.
»Mein Vater scheint Gefallen an dir zu finden«, sagte Nicole unvermittelt, was Aimee, die eigentlich zu ihrem Weinbecher greifen wollte, innehalten ließ. »In früheren Zeiten hatte er so einige Mätressen. Dich hätte er gewiss auch erwählt.«
Aimee hob überrascht die Augenbrauen. Wie kam sie nur darauf? »Bitte verzeiht, Herrin, aber …«
»Schon gut, ich war bloß in Gedanken.«
Nicole wandte sich nun wieder ihrem Nebenmann zu, doch Aimee fühlte sich auf einmal unwohl.
Was hatte die Baronin mit dieser Bemerkung gemeint? Hatte es etwa so ausgesehen, als hätte sie dem Grafen schöne Augen gemacht? Ein Gedanke verstärkte ihr Unbehagen noch. Was, wenn Nicoles Vater gerade mit dem Baron aushandelte, sie mitnehmen zu dürfen?
Sie war nicht sicher, ob Ravencroft es zulassen würde. Immerhin war sie nur eine Untertanin …
Obwohl ihr Herz etwas anderes sagte, übermannte eine nagende Unruhe die
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