Fesseln des Herzens
auf das Bett und schützte vor, sich ausruhen zu wollen. Sie schloss die Augen und dachte an Henry. Wie sollte sie an ihn herankommen und herausfinden, ob er halten konnte, was sein Anblick versprach? Und waren seine Blicke überhaupt etwas anderes als reine Loyalität seiner Herrin gegenüber?
Nach einer Weile ging die Tür, und sie spürte, dass der Baron fort war. Unendliche Erleichterung machte sich in ihr breit. Vielleicht ergibt sich heute Abend eine Möglichkeit, dachte sie seufzend und erhob sich wieder, um am Fenster zu beobachten, wie Ravencroft seinen Nachbarn in Empfang nahm.
»Geehrte Nachbarn, es freut und ehrt mich, Euch hier begrüßen zu dürfen!«
Bei einer anderen Person wäre Ravencroft mit diesen Worten und mit offenen Armen zu seinem Besucher und seiner Gemahlin getreten. Da es aber der Baron und die Baronin of Woodward waren, blieb es bei den Worten, und er hielt Abstand.
Woodward setzte ein derart gequältes Lächeln auf, als sei ihm soeben eine schwärende Wunde aufgesprungen. Der Mann, dem er gegenüberstand, war nicht mehr derjenige, den er vor einigen Jahren im Kampf erlebt hatte. Dieser Mann sah deutlich besser aus, gesetzter, ausgeglichener und glücklicher.
Dass eine junge Frau eine belebende Wirkung auf einen Mann haben konnte, war ihm bereits bekannt, schließlich erlebte er es selbst jedes Mal, wenn er zu Janet ging.
Doch das Bild, das Ravencroft abgab, war einfach nur beneidenswert. Sein Weib musste ihn wirklich glücklich machen.
Ganz im Gegensatz zu seiner eigenen Gemahlin, die mit schmalen Lippen und stumpfem Blick neben ihm stand und versuchte, ihre Gesichtszüge im Zaum zu halten.
Zum Glück habe ich Janet und das Kind, das in ihrem Leib heranwächst, tröstete sich Woodward. Mit etwas Fortune werde ich einen Sohn haben und nicht wie Ravencroft eine schwache Tochter.
Natürlich könnte auch eine Tochter seinen Titel erben, doch diese Erbfolge war schwach, denn wenn sie heiratete, würde ihr Gemahl über den Besitz bestimmen und nicht sie. Das wollte er auf jeden Fall vermeiden.
Aber jetzt war es nicht die Zeit, solche Überlegungen anzustellen.
»Ich hoffe, Ihr nehmt es uns nicht übel, dass wir so spät ankommen«, sagte Woodward laut. »Wir wären gern bei der Taufe dabei gewesen, doch unterwegs haben sich Schwierigkeiten mit unserem Gefährt ergeben.«
»Macht Euch keine Gedanken, ich freue mich dennoch über Euren Besuch und hoffe, dass es uns gelingt, unsere Spannungen ein wenig zu vergessen.«
Ravencroft war davon überzeugt, dass Woodward gelogen hatte, was seine Kutsche anging. Sein waches Auge konnte keinen Schaden entdecken, und auch die Pferde waren in Ordnung.
Gleichwohl war er sich dessen bewusst, dass die Spannungen zwischen ihm und Woodward wohl nie verschwinden würden, solange nicht einer von ihnen erbenlos blieb und die Linie ausstarb. Durch die Geburt von Mary hatte sich ihm das Glück immerhin schon ein wenig entgegengeneigt.
»Wo ist eigentlich Eure reizende Gemahlin?« Woodward blickte zu dem Turm auf, in dem er die Gemächer der Baronin vermutete. Nicole hatte sich allerdings schon vom Fenster zurückgezogen. »Man hört, dass die Geburt nicht ganz einfach gewesen sein soll.«
Ravencroft überraschte es nicht, dass sein Widersacher so gut informiert war. Es war eine Tatsache, dass sein Nachbar herumspionierte, und um zu erfahren, was sich bei der Geburt ereignet hatte, brauchten seine Leute nur in eines der umliegenden Dörfer zu gehen.
»Das ist richtig, aber welche Geburt ist schon leicht? Dank unserer Gebete zu Gott und der Heiligen Jungfrau ist alles glücklich verlaufen, und meine Gemahlin wie auch meine Tochter sind wohlauf. Die Baronin bereitet sich momentan auf die Feierlichkeiten vor, wird es sich aber nicht nehmen lassen, Euch persönlich zu begrüßen.«
Mit diesen Worten winkte er einen Diener heran. »Geleite die Lordschaften zu ihrem Quartier.«
Der Diener verneigte sich vor seinem Herrn, dann verneigten sich die Barone voreinander, und schließlich gingen sie gemeinschaftlich in die Burg.
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6 . Kapitel
W ar die Taufe in der Kirche schon prachtvoll gewesen, so überstieg der Schmuck des Festsaales alles, was Ravencrofts Besucher je gesehen hatten. Nicht einmal die Hochzeitsfeier des Barons war so opulent gewesen.
Überall hingen seidene Banner in leuchtenden Farben von der Decke herab. Da es bislang nur wenige Blumen gab, war man auf Blumen aus Seide ausgewichen, die der Baron eigens von einem Boten aus
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