Fesseln des Herzens
Barone Englands sein werde. Und unser Sohn wird all diesen Reichtum erben.«
Damit beugte er sich über sie und küsste ihren Bauch.
Drei Tage wütete nun schon das Fieber seiner Tochter, und bislang schien sich keine Besserung einzustellen. Aimee wachte Tag und Nacht neben dem Bett der Kleinen, und wie man von den Dienstboten vernehmen konnte, tat sie es beinahe ohne jegliche Ruhepause. Die Sorge um Mary brachte Ravencroft dazu, ruhelos durch die Gänge zu streifen und sich oftmals zum Nachdenken auf den Bergfried des Schlosses zurückzuziehen.
An diesem Morgen konnte er seinen Amtsgeschäften allerdings nicht mehr entgehen. Die Felder mussten inspiziert und die Abgaben festgesetzt werden. Die Erntezeit begann, schon bald würden die gelben Meere auf den Feldern Ravencrofts voll von Hocken sein, und Kinder würden sich auf die Suche nach den Kornwölfen machen, von denen die Alten ihnen erzählten. Mit den Schauergeschichten wollten sie die Kinder allerdings nur davon abhalten, das Korn niederzutreten.
Also saß Ravencroft an diesem Morgen zunächst über ein paar Bittschriften seiner Bauern, die von der anhaltenden Trockenheit geschädigt worden waren. Er hatte vor, ihnen mitzuteilen, dass er in den nächsten Tagen einen Inspektionsritt unternehmen würde, um sich ihre Felder anzusehen.
Das Kratzen an der Tür ließ ihn jedoch innehalten.
»Komm herein«, rief er, während er die Federspitze wieder aufs Papier setzte.
»Mylord, verzeiht, dass ich störe.«
Als er erkannte, dass die Stimme Celeste gehörte, zog er unwillkürlich einen langen Strich über das Pergament. Sein Herz begann zu rasen, als er in das erschöpfte Gesicht der Kammerfrau blickte. War seine Tochter etwa …
»Was gibt es, Celeste?«, presste er hervor, während er das Gefühl hatte, dass ihm jemand die Kehle zuschnüren würde.
»Eure Tochter«, begann die Kammerfrau und setzte dann ein Lächeln auf. »Ich soll Euch von Aimee ausrichten, dass das Fieber gesunken ist und sich das Mädchen auf dem Wege der Besserung befindet.«
Ravencroft brauchte einen kurzen Moment, um den Schrecken zu vertreiben, den ihm der Gedanke, dass Mary gestorben sein könnte, verursacht hatte. Dann sprang er so rasch auf, dass der Stuhl hinter ihm zu Boden krachte, und lief aus seiner Schreibstube, wobei die Wandteppiche, die den Raum schmückten, nur so flatterten.
Andere Männer würden mich vielleicht dafür verlachen, dachte er, während er mit so langen Schritten den Gang durchquerte, dass Celeste nicht mehr mitkam. Aber mir ist eine Tochter ebenso lieb wie ein Sohn.
Er erinnerte sich an einen Kaufmann der Muselmanen, der gemeint hatte, dass Söhne zwar den Namen erhielten, die Töchter aber das Gold seien, mit dem man handeln könne. Zwar hatte Ravencroft nicht vor, seine Tochter zu verschachern, wie es die Mamelucken zuweilen taten, doch Gold war ihm seine Tochter ebenfalls wert.
Vielleicht wird meine Mary ja eines Tages sogar am Königshof bekannt sein, ging es ihm hoffnungsvoll durch den Sinn, während er mit hastigen Schritten der Kinderstube entgegeneilte.
Als er schließlich an der Tür angekommen war, erblickte er Aimee, die erschöpft und bleich neben der Wiege saß.
Dennoch ist sie wunderschön, schoss es kurz durch seine Gedanken, dann wandte er sich seiner Tochter zu, die vor sich hin brabbelte und mit Armen und Beinen strampelte.
Am liebsten hätte er vor Freude jede anwesende Frau im Raum gepackt und herumgeschleudert, aber angesichts der Amme und Celeste, die ihm gefolgt war, beherrschte er sich.
»Du hast es tatsächlich geschafft!«, rief er und strahlte Aimee an, als er neben die Wiege trat.
»Wir alle haben es geschafft«, entgegnete die Hebamme bescheiden. »Ich glaube kaum, dass es in Eurer Burg auch nur einen Menschen gegeben hat, der nicht für das Wohl Eures Kindes gebetet hat.«
Ravencrofts Blick sagte ihr allerdings, dass er es anders sah. Gewissermaßen stimmte es ja auch, dass es ihr Verdienst war. Aber sie wollte sich auf keinen Fall in den Vordergrund spielen und sich vor Celeste und der Amme, die ebenfalls ihren Teil an der Genesung der Kleinen geleistet hatten, loben lassen.
Vorsichtig hob der Baron das Kind aus der Wiege.
Mary begrüßte ihn fröhlich glucksend. Ihr Blick war jetzt wieder klar, und ihre Wangen waren zwar rosig, aber nicht fiebrig rot.
Eine unbeschreibliche Welle des Glücks durchzog ihn. Seine Tochter würde leben! Alle Flüche, die Woodward womöglich gegen sie ausgesprochen hatte,
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