Fesseln des Herzens
waren zunichtegemacht worden!
Im nächsten Augenblick ließ sich Nicole in der Kinderstube blicken. Das Lächeln, das soeben noch auf dem Gesicht des Barons gelegen hatte, erstarb in dem Moment, als er sie neben sich spürte.
»Gott sei Dank«, murmelte die junge Mutter und zog die Nase hoch, als müsse sie mit den Tränen kämpfen. Sie streckte die Hände nach ihrem Kind aus, und Ravencroft überließ es ihr ein wenig unwillig, während er ihre Miene genau musterte.
Spielt sie es nur, oder ist ihre Rührung echt?, fragte er sich. Doch in diesem Augenblick wollte er sich seine gute Laune nicht von Nicole verderben lassen.
Ohnehin verweilte sie bei dem Kind nur so lange wie nötig. Sie herzte Mary und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, dann legte sie das Mädchen wieder in die Wiege.
»Ich danke dir«, sagte sie knapp zu Aimee, danach wandte sie sich um und verließ den Raum.
Klammes Schweigen legte sich über die Anwesenden, und der Baron zweifelte noch immer an Nicoles Ehrlichkeit. Die Amme und Celeste wussten nur zu gut, dass sich die Baronin während der vergangenen Tage hier nicht hatte blicken lassen. Dementsprechend waren sie von tiefer Betretenheit erfüllt, und Aimee fragte sich, was ihrer Herrin wohl gerade durch den Kopf ging, denn ihre Augen hatten so abwesend gewirkt, als würde sie auf jemanden warten, der wichtiger war als alles andere.
»Gönn dir ein wenig Abstand von der Burg«, sagte Ravencroft unvermittelt und vertrieb damit die unangenehme Stille. »Du hast es dir verdient, etwas anderes zu sehen als die Kinderstube.«
»Aber Mylord, ich …«
Ravencroft unterband ihren Widerspruch mit einem sanften Kopfschütteln. »Reite los, Aimee, sieh nach deiner Herde und kehre morgen wieder zurück. Die frische Luft wird dir guttun. Celeste und die Amme werden bis dahin auf meine Tochter achtgeben.«
Die beiden Frauen nickten bekräftigend, und Aimee blieb nun nichts anderes mehr übrig, als dem Befehl des Barons zu folgen.
Aus der Kinderstube zurückgekehrt, trat Nicole ans Fenster und blickte hinaus auf den Hof, wo sie auch das Tor ausmachen konnte.
Ihre Gedanken wanderten zu Henry. Obwohl sie wusste, dass es bis nach Woodward ein gutes Stück Weg war, kam Sorge in ihr auf.
Was, wenn sie ihn in Woodward festsetzen oder töten?, ging es ihr durch den Sinn. Doch dann beruhigte sie sich damit, dass das Angebot, das sie dem Baron machte, einfach zu verlockend für ihn sein musste. Auch wenn es ihm der Hauptmann seines ärgsten Feindes überbrachte.
Plötzlich ertönendes Hufgetrappel ließ ihr Herz einen freudigen Sprung machen, aber es war nur Aimee, die aus dem Tor ritt. Wo sie wohl hinreitet?, überlegte Nicole. Will sie wieder Kräuter holen? Gleichzeitig stieg ihr die Frage in den Sinn, was sie mit der jungen Hebamme tun sollten, wenn ihr Plan erst einmal aufgegangen war.
Sie brauchte die Frau, damit sie ihr das Mittel gab, das sie unfruchtbar machte. Sosehr sie Henry auch begehrte, Bastarde empfangen wollte sie von ihm nicht.
Gleichzeitig wusste Nicole auch, dass Aimee Ravencroft treu ergeben war. Wenn nicht mehr. Sie würde seinen Tod gewiss nicht gutheißen!
Ob es noch eine Hexe mit ihren Fähigkeiten in der Baronie gibt?, fragte sie sich nun, denn wenn sich Aimee sträubte, würde ihr Tod unabdingbar sein.
Aber noch war es nicht so weit. Als das Hufgetrappel verklungen war und nur noch die Rufe der Knechte auf dem Hof zu Nicole hinaufdrangen, legte sie sich auf ihr Bett und malte sich aus, wie das Leben hier ohne ihren Gatten wohl aussehen mochte.
Zur gleichen Zeit stand auch Ravencroft am Fenster seiner Studierstube und blickte der Schäferin nach, wie sie durch das Tor ritt.
Es war ihm unmöglich gewesen, zu seinen Schriftstücken zurückzukehren. Die Erleichterung hatte ihm Tränen in die Augen getrieben, und Aimees Bild brannte in ihm, als sei es mit Feuer in seinen Geist hineingeschrieben worden. Es war nicht nur Dankbarkeit, die er ihr entgegenbrachte, sondern auch Begehren.
Ich könnte sie mir als Mätresse nehmen, überlegte er. Doch würde sie das wollen?
Er hatte gespürt, dass sie in seiner Nähe unruhig wurde, und an ihr Zusammentreffen in seinen Privatgemächern erinnerte er sich noch gut. Trotzdem schien etwas sie davon abzuhalten, ihren Gefühlen nachzugeben. Was nur?, sinnierte er und erhielt nur wenig später die Antwort: Sie ist eine tugendhafte Frau, die offenbar nicht nur die Zehn Gebote achtet, sondern auch weiß, was passieren kann, wenn sich
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