Fesseln des Herzens
Dienst gut. Dennoch schlich sich Aimee zum Stalltor und spähte hinter dem Pfosten hervor. Der Reiter parierte sein Pferd durch und sprang aus dem Sattel.
Sie erkannte Henry Fellows sofort.
War er etwa schon wieder zurück von seinem Vater? Celeste hatte ihr erzählt, dass der Hauptmann nach Hause geritten sei, weil es seinem alten Herrn sehr schlechtging. Unglücklicherweise war er jedoch schon fort gewesen, sonst hätte Aimee ihm noch ein paar Kräuter mitgegeben.
Bedeutete seine frühe Rückkehrt etwa, dass sein Vater wieder gesundet war? Oder war er am Ende gestorben?
Die Schäferin beobachtete, wie sich Henry seinen Waffenrock aufriss und dann sein Pferd beim Zügel nahm. Auch er schien nicht auf die Stallburschen warten zu wollen.
Um von Fellows nicht gefragt zu werden, was sie zu dieser Stunde hier tat, versteckte sie sich im hintersten Winkel des Stalls. Im selben Moment stieß der Hauptmann das Tor auf, das sich hinter ihr geschlossen hatte. Er blickte sich suchend um, als hinter ihm plötzlich eine Gestalt auftauchte.
Aimee konnte nicht erkennen, wer es war, aber die Konturen, die sich unter dem dunklen Gewand abzeichneten, waren eindeutig weiblich. Dann bemerkte sie, dass ein helles Nachthemd unter dem schweren Mantel hervorblitzte.
Offenbar wollte die Frau nicht, dass jemand sie sah, denn sie hielt die Kapuze fest vor ihrem Gesicht zusammen.
Schweigend trat sie zu Henry und fragte dann: »Hast du es überbracht?«
Der Hauptmann, der nicht so wirkte, als sei er von ihrem Auftauchen überrascht, nickte mehrmals. »Ja, und er hat mir mitgeteilt, dass er die Angelegenheit prüfen will. Er wird einen Boten schicken.«
Mit dieser Antwort schien die Frau zufrieden zu sein. Sie kehrte um und verließ den Stall, ohne noch etwas zu dem Hauptmann zu sagen.
Aimee war verwirrt. Irgendwie meinte sie, die Stimme erkannt zu haben. Obwohl die Frau sehr leise gesprochen hatte, hätte sie schwören können, dass es die Stimme der Baronin war. Hatte sie Fellows mit einem Auftrag betraut, bevor er zu seinem Vater geritten war?
Diese Frage beschäftigte die Schäferin so sehr, dass sie nicht daran dachte, durch die Hintertür zu verschwinden. Da war es auch schon zu spät, und Fellows kam mit seinem Pferd tiefer in den Stall. Hektisch begann Aimee, mit dem Striegel über den Rücken ihres Rappen zu fahren und versuchte, möglichst unbeteiligt dreinzublicken.
»Aimee!« Die Überraschung stand Henry ins Gesicht geschrieben. Gleichzeitig entdeckte die Schäferin in seiner Miene noch etwas anderes: die Angst davor, dass sie ihn und die Unbekannte im Mantel belauscht haben könnte.
»Hauptmann Fellows«, entgegnete sie mindestens ebenso erstaunt, »wie geht es Eurem Vater?«
»Es geht ihm wieder besser«, antwortete er unsicher. »Was ist mit Ravencrofts Tochter?«
»Sie ist genesen, worauf mich der Baron losgeschickt hat, um mich ein wenig zu erholen und nach meiner Herde zu schauen.«
»Das ist gut, ich meine, die Genesung des Mädchens«, brachte Fellows schließlich hervor und verstummte dann wieder verlegen.
Aimee nickte ihm zu und verabschiedete sich mit einem fröhlichen Lächeln von ihm.
Draußen vor der Stalltür fragte sie sich, wer die geheimnisvolle Frau gewesen sein könnte. Wirklich die Baronin? Wenn ja, dann ging es sie gewiss nichts an. Sie drängte ihre Gedanken energisch zurück und begab sich in ihr Quartier.
Nicole wirkte an diesem Morgen so frisch wie schon lange nicht mehr. Aimee blickte in das Gesicht einer Frau, die dabei war, dieselbe Schönheit zu erlangen, die sie vor ihrer Schwangerschaft besessen hatte.
»Aimee, wie gut, dass du wieder da bist!«, begrüßte die Baronin sie überschwenglich, als sie in ihre Gemächer trat.
Celeste und die anderen waren gerade dabei, sie anzukleiden. Das Gewand, das sie sich hatte bringen lassen, war Aimee noch unbekannt. Offenbar hatte sie es erst vor kurzem erworben. Der dunkelrote Brokat war über und über durchwirkt mit feinen Ranken und wetteiferte in seinem Leuchten mit dem Strahlen auf dem Gesicht der Baronin.
Kein Wunder, dass ihr nach Feiern zumute ist, immerhin ist ihre Tochter außer Gefahr, dachte die junge Schäferin.
»Wie ich sehe, befindet Ihr Euch wohl, Mylady«, sagte Aimee, nachdem sie sich verbeugt hatte.
Nicole lächelte sie huldvoll an. »Ja, das stimmt. Mir geht es so gut wie lange nicht mehr. Der Sonnenschein erhellt mein Gemüt.«
Wohl nicht nur der Sonnenschein, dachte Aimee, als sie sich erhob. Die Baronin
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