Fesseln des Herzens
also schon wach, Aimee«, sagte er lächelnd, während er sich seine Handschuhe überzog.
Sollte ich es jetzt tun?, fragte sie sich, doch angesichts der Umstehenden entschied sie sich, vorerst nichts zu sagen. Das konnte sie nachholen, wenn sie ungestörter waren.
»Schon seit einer Weile, Mylord, mich hat es nicht mehr im Bett gehalten«, entgegnete sie und hielt den Blick gesenkt. Die Erinnerung an den Kuss im Garten ließ einen Schauer über ihren Körper laufen und ihren Schoß vor Sehnsucht brennen.
»Hast du nach meiner Tochter gesehen?«
»Ja, das habe ich. Und auch Eurer Gemahlin geht es gut.«
Ravencroft erwiderte kurz angebunden: »Gut, dann können wir uns ja zum Aufbruch rüsten. Was meinst du, wo sind um diese Zeit die meisten Wölfe anzutreffen?«
»Schwer zu sagen, Mylord, sie wandern durch den gesamten Wald, sind mal hier und mal da. Wenn Lammzeit ist, kann man häufig welche hinter meiner Weide beobachten.«
»Nun denn, meine Herren, damit kennen wir unser Ziel.«
»Ob Ihr allerdings Glück haben werdet, kann ich Euch nicht versprechen«, fügte Aimee hinzu. »Ich weiß auch nicht, ob die Plage davon besser wird. Trotz Eurer Jagd werden genug Wölfe bleiben, damit ihre Art nicht zugrunde geht.«
Der Baron lachte auf. »Für so schlecht hältst du also meine Jagdkünste?«
Aimee errötete. »Nein, Mylord, das wollte ich nicht behaupten. Aber ich kenne die Wölfe und weiß, dass sie sehr gerissen sind. Außerdem haben sie ein besseres Gehör als jeder Mensch, sie werden das Trampeln der Pferde schon Meilen im Voraus vernehmen.«
Ravencroft lächelte sie einen Moment lang an und dachte bei sich, was für ein kluges Weib Aimee doch war. Dann wandte er sich zu seinen Begleitern um.
»Habt ihr das vernommen? Zweifelt jetzt noch jemand dar-an, dass es gut ist, diese Frau mitzunehmen?«
Die Männer murmelten vor sich hin, einige lachten, aber keiner äußerte Widerspruch.
»Also gut, dann komm mit. Bevor wir losreiten, müssen wir uns stärken. Es ist ja nicht so, dass wir nach der Jagd Sauen hätten, die wir auf den Spieß stecken könnten.«
Mit diesen Worten reichte er ihr seinen Arm.
Aimee fand das sehr kühn und zögerte zunächst.
Ravencroft blitzte sie an und sagte: »Was ist? Ich beiße nicht! Gewähre mir den Gefallen, mich zu begleiten.«
Da sie ihn nicht verärgern wollte, nickte sie und legte ihre Hand auf seinen Arm.
Zusammen mit der Jagdgesellschaft betrat sie die große Halle, wo die Mägde bereits das Morgenmahl vorbereitet hatten.
Die Mädchen blickten ein wenig erstaunt drein, als sie Aimee am Arm des Barons erkannten, und ihre Gespräche verstummten augenblicklich.
Die Schäferin versuchte, sich ihr Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Gelassen nahm sie von den Speisen, die in Hülle und Fülle bereitstanden, obwohl sich ihr Magen wie zugeschnürt anfühlte. Währenddessen wanderte ihr Blick zu Henry Fellows hinüber, der sich seit ihrer Begegnung im Stall ebenfalls verändert hatte. Er wirkte ähnlich zerstreut und in sich gekehrt wie die Baronin, und das nun schon seit vielen Tagen.
Weshalb nur?, fragte sie sich. Hatte das etwas mit der Unbekannten im schwarzen Mantel zu tun?
Ihr Nachdenken wurde von den Rufen Ravencrofts unterbrochen, der die Teilnehmer der Jagd zum Aufbruch gemahnte.
Alle gemeinsam verließen sie die Halle und traten auf den Burghof, wo sich schon einige Bedienstete eingefunden hatten, um dem Spektakel beizuwohnen.
Die Jagdgehilfen hielten Spieße und Armbrüste bereit, die sie an die Jäger verteilten. Als die Hunde die Männer sahen, wurden sie noch wilder. Aimee verspürte keinerlei Angst, sondern näherte sich den tobenden Tieren, um sie aus der Nähe zu betrachten.
Aus der Ferne hatte man nicht ermessen können, wie groß die Hunde wirklich waren. Doch nun sah die Schäferin, dass die mächtigsten von ihnen, wenn sie sich auf die Hinterläufe stellten, sogar den Baron und Henry Fellows überragten. Ihr langer Pelz und die großen braunen Augen verliehen ihnen trotzdem etwas Gutmütiges, jedenfalls empfand Aimee das so.
»Du solltest vorsichtig mit ihnen sein, sie sind keine Hütehunde«, erklang die Stimme des Barons hinter ihr.
Aimee drehte sich um und sah, dass er sich in der Zwischenzeit einen Gurt mit einem langen Hirschfänger um die Hüften gelegt hatte. In dem kunstvoll verzierten Knauf fingen sich die Strahlen der Morgensonne.
»Ein Hund ist ein Hund« antwortete sie, »und ich denke, die Wolfshunde hier sind abgerichtet,
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