Fesseln des Herzens
schien ihn in diesem Augenblick nicht als ihren Herrn anzusehen, sondern als einen kranken Menschen, der Hilfe brauchte.
»Deine Zuneigung zum Baron muss sehr groß sein«, bemerkte Nicolas später, während er sich ein Stück Fladenbrot in den Mund schob.
Dank ihrer Vorbereitungen für das Festessen nach der Jagd hatte Aimee nun genug vorrätig, so dass sie John, der zwischendurch hereinschaute, ebenfalls ein großes Bündel mit Lebensmitteln geben konnte.
»O ja«, gab Aimee zu. »Ich möchte auf keinen Fall, dass er stirbt. Die Baronie würde einen gütigen Herrn verlieren.«
»Vielleicht solltest du das der Baronin sagen«, entschlüpfte es Nicolas.
Die Schäferin konnte ihm ansehen, dass er es schon einen Moment später bereute. Immerhin war Aimee die Kinderfrau von Nicoles Tochter. Sie bedeutete ihm jedoch mit einem Lächeln, dass er wegen seiner Äußerung nichts zu befürchten habe.
»Wir haben es gut, Nicolas«, sagte sie dann. »Wir können unsere zweite Hälfte frei wählen. Menschen höheren Standes ist dieses Glück nicht immer vergönnt, daher sollte man nicht allzu schnell über einen anderen urteilen. Die Baronin ist nicht glücklich, aber sie hat nicht frei entscheiden können. Hätte sie den Baron aus Liebe geheiratet, wäre das etwas anderes.«
Auf diese Worte hin sah St. James die Schäferin lange an. Er entsann sich der Gerüchte, die man sich über sie erzählte. Angeblich war der Baron für die Schäferin entflammt und hatte sogar versucht, sie zu verführen. Dem Vernehmen nach war sie standhaft geblieben, zumindest körperlich, aber offenbar war das Feuer des Barons auf ihre Seele übergesprungen.
»Kommt, Nicolas«, sagte Aimee schließlich. »Lasst uns etwas essen. Wir werden die Kraft für heute Nacht brauchen.«
»Meinst du, das Fieber wird noch schlimmer?«
»Sein Körper wehrt sich heftig gegen den Schmutz, der dem Bolzen anhaftete. Ich befürchte, dass sich in dieser Nacht entscheiden wird, ob das Wundfieber ihn überwältigt oder er wieder gesundet.«
Damit erhob sie sich und machte sich daran, ein Abendessen zu bereiten.
Als Mitternacht vorüber war, begann der Baron, sich unruhig auf seinem Lager zu wälzen und im Delirium wirr vor sich hin zu murmeln.
Aimee schreckte aus ihrem Schlummer hoch und blickte sich kurz um. Das Feuer in der Esse war heruntergebrannt, St. James war auf dem Schemel zusammengesunken, Mondlicht umrahmte seine schlafende Gestalt.
Als sie Ravencrofts Stimme vernahm, sprang sie auf und ging zu ihm. Schon von weitem spürte sie, dass er glühte. Sie nahm die Wadenwickel ab und tauchte die Tücher erneut ins Wasser.
»Nicolas«, rief sie nach dem Soldaten, der sogleich aufschreckte.
»Was ist?«
»Das Fieber steigt weiter. Wir müssen ihn mit kaltem Wasser abreiben, die Umschläge genügen nicht. Wir müssen das Blut kühlen, oder er stirbt, weil es vor Hitze in seinen Adern gerinnt.«
Mehr brauchte sie nicht zu sagen. St. James erhob sich sofort, ergriff den Kessel und lief hinaus.
Derweil begann Aimee, den Baron vollständig zu entkleiden.
Zeit für falsche Scham hatte sie nicht. Ich habe weiß Gott schon mehr nackte Männer gesehen, sagte sie sich und löste seinen Hosenbund.
Dennoch errötete sie, als sie Zoll um Zoll seines Körpers freilegte. Glatt und weich spannte sich gebräunte Haut über seinen Muskeln, sein Schamhaar reichte bis zum Nabel, und seine Oberschenkel waren wie der Rest seiner Beine mit kleinen schwarzen Haaren bedeckt.
Als St. James zurückkehrte, hatte Aimee bereits ein Leintuch über dem Baron ausgebreitet und noch einige andere Tücher zerschnitten, die sie nun in das kalte Seewasser tauchte.
»Ich werde ihm damit die Brust abreiben und bitte Euch, dasselbe mit seinen Beinen zu tun. Reibt einmal vom Herzen weg und einmal ihm entgegen«, wies sie den Mann an.
Beide machten sich konzentriert an die Arbeit und versuchten, das Fieber zu senken, bis der Mondschein aus dem Fenstergeviert verschwand und der Morgen näher rückte. Als Aimee die Hand auf die Stirn des Barons legte, bemerkte sie zu ihrer Freude, dass das Fieber nicht weiter gestiegen war. Schwer ließ sie sich auf den Boden zurücksinken, und das Tuch fiel ihr aus der vor Anstrengung zitternden Hand. »Wenn das alles nichts gebracht hat, dann hilft uns nur noch beten.«
Den ganzen folgenden Tag über verbrachte Aimee am Krankenlager des Barons. Zwischendurch schickte sie Nicolas zu John, um nach dem Rechten zu sehen. Als er zurückkehrte, brachte er
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