Fesseln des Schicksals (German Edition)
nicht weiter in sie. Und warum sollte sie Charlotte auch mit ihren eigenen Ängsten bedrücken?
«Was wirst du also tun?»
«Das einzig Mögliche», antwortete Charlotte scharf. «Ich werde dafür sorgen, dass Richard Reemick noch diese Woche um meine Hand anhält.»
***
Als die Schwestern über die Schwelle des Herrenhauses von Delow traten, drängten sich im Empfangszimmer schon die Gäste. Sklaven bahnten sich ihren Weg durch die Menge, um auf glänzenden Silberplatten die Horsd’œuvres anzubieten. Sanfte Hintergrundmusik verkürzte das Warten auf das Dinner. Drei Jahre, sagte sich Charlotte und spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte, während ihre Augen in der Menschenmenge nach Richard suchten. Als sie ihn schließlich entdeckte, fühlte sie, wie ihr Herz beinahe stehenblieb. Überall hätte sie ihn wiedererkannt. Er trug die blaugoldene Galauniform. Seine gutgewachsene Gestalt und seine aufrechte Haltung ließen ihn unter den übrigen Gästen hervorstechen. Richard unterhielt sich angeregt mit zwei Männern, deren Gesichter Charlotte nicht sehen konnte. Sie atmete tief ein und nahm in Hortensias Begleitung die wenigen Meter in Angriff, die sie noch von Richard trennten.
Als er sie erblickte, erstrahlte sein Gesicht.
«Hortensia, Charlotte», grüßte er und sah wie gebannt in die smaragdgrünen Augen.
«Hallo, Richard. Ich freue mich, dich wiederzusehen. Es ist lange her.»
«Lange», seufzte er und konnte seinen Blick nicht von ihr losreißen. Er war wie verzaubert.
Drei lange Jahre, dachte Charlotte bei sich und betrachtete aufmerksam sein Gesicht.
Richard wirkte härter, die Jahre auf See hatten seine Haut gegerbt, und seine Züge hatten die Weichheit der Jugend zum Teil verloren. Er war zu einem attraktiven Mann gereift. Fast hatte Charlotte schon vergessen, wie schön diese grauen Augen waren, als sie nun tief in seinen Blick eintauchte.
Aber eine plötzliche Bewegung hinter Richard brach den Bann, und sie erblickte jetzt einen kräftigen Mann mit schulterlangem blondem Haar und Kinnbart, der so groß war wie Richard und ebenfalls eine Galauniform trug.
«Darf ich den Damen Parrish Leutnant Klaus Fritz aus Montgomery, Alabama, vorstellen», sagte Richard und riss sich von Charlottes Blick los.
Die beiden Schwestern nickten dem Offizier lächelnd zu, der nacheinander ihre Hände küsste. Hortensia errötete, als sie bemerkte, dass sein Blick unfreiwillig auf Charlottes nackte Schultern fiel, aber ihre Schwester ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
«… und das ist mein guter Freund Scott O’Flanagan aus Boston», fuhr Richard fort, als er sich nun dem Mann zuwandte, der zu seiner Linken stand.
Charlotte gefror das Lächeln auf den Lippen, als sie den unverschämten Gesichtsausdruck wiedererkannte. Auch Hortensia war verstummt.
«Meine Damen. Ich bin erfreut, Sie wiederzusehen», begrüßte Scott sie höflich.
«Es ist mir ein Vergnügen», brachte Hortensia mit dünner Stimme hervor.
Der Yankee hatte den alten Anzug und die geflickten Stiefel gegen angemessenere Kleidung ausgetauscht, aber die Handschuhe erkannte Charlotte sofort wieder. Ihr Träger war zwar hochgewachsen, aber doch etwas kleiner als Richard oder Leutnant Fritz. Seine Augen waren dunkel, das Haar sogar fast schwarz. Er hatte ebenmäßige Gesichtszüge, die sie an die Abbildungen griechischer Marmorstatuen in den Büchern erinnerte, aber das ständige Grinsen verlieh ihm ein fast dreistes Aussehen. Obwohl Charlotte zugeben musste, dass jede andere Frau diesen jungen Mann äußerst attraktiv gefunden hätte, war er für sie doch nur ein verhasster, grober Mensch ohne Klasse, der es aus irgendeinem unverständlichen Grund geschafft hatte, sich bei Richard einzuschmeicheln.
«Mr. O’Flanagan. Es tut mir leid, aber in dem eleganten Anzug habe ich Sie kaum wiedererkannt.»
Scotts Gegenangriff ließ nicht auf sich warten.
«Ich fürchte, Miss Charlotte, dass es mir nicht anders geht.»
«Wie, ihr kennt euch?» Angesichts der Schärfe in Charlottes Tonfall mischte Richard sich neugierig ein.
«Ich hatte schon vor ein paar Tagen die Gelegenheit, auf diese reizende junge Dame und ihre Schwester zu treffen.»
Mit einem flehenden Blick bat Charlotte ihn inständig, die Einzelheiten ihres Zusammentreffens nicht preiszugeben.
In diesem Moment verlangte Nicholas Reemick nach seinem Sohn. Er sollte die Burtons empfangen, die gerade angekommen waren. Richard entschuldigte sich, folgte seinem Vater und ließ Charlotte und
Weitere Kostenlose Bücher