Fesseln des Schicksals (German Edition)
mir?»
Charlotte nickte.
«Ich wollte Sie um etwas bitten.»
Mr. O’Flanagan setzte sich in einen Sessel und bat Charlotte, neben ihm Platz zu nehmen.
«Ich möchte in Ihrer Zeitung arbeiten.»
Klar und direkt, dachte Raymond. Ihm gefielen Menschen mit Charakter und Entschlusskraft. Seit sie öffentlich verkündet hatte, dass Noah ihr Bruder war, hatte er diese Frau gemocht. Dafür brauchte man viel Mut. Mit einem einzigen Satz hatte sie es diesen Heuchlern am Tisch gezeigt. Und das mit Stil. Außerdem hatte er Gerüchte über die etwas zu innige Beziehung gehört, die Scott und Charlotte verbunden hatte.
Eigentlich hatte er nichts darauf gegeben, aber als die beiden auf Hortensias und Brians Hochzeit kein einziges Wort miteinander gesprochen hatten, war er sich sicher gewesen, dass doch etwas dran war. Sein Sohn war in Charlotte verliebt. Und sicher hatte diese leidenschaftliche Frau mit den grünen Augen einiges damit zu tun, dass er so plötzlich die Stadt verlassen hatte. Einen Moment lang hatte er sogar angenommen, dass die Bitte der jungen Frau etwas mit Scott zu tun haben könnte, und wiederholte nun überrascht: «In meiner Zeitung arbeiten?»
«Ich weiß», kam Charlotte ihm zuvor. «Eigentlich ist es nicht üblich, dass eine Frau Reporterin werden will. Vielleicht schockiert Sie das. Aber ich versichere Ihnen, dass ich es kann. Ich möchte nur eine Chance bekommen. Ich werde Sie bestimmt nicht enttäuschen.»
Die Leidenschaft, mit der Charlotte ihr Anliegen vorbrachte, erinnerte ihn an Scott. An den ungestümen Träumer, der er bis zum Tod seines Onkels gewesen war, bevor der Zynismus ihn mit seinen scharfen Klauen gepackt hatte.
«Ich werde mit dem Herausgeber sprechen.»
«Wirklich? Sie wollen es mir nicht ausreden? Sie sind nicht schockiert?»
«Mich schockiert so leicht nichts», lachte er. «Nun, dir sollte klar sein, dass du nicht bevorzugt behandelt wirst, weil du eine Frau bist und zur Familie gehörst. Aber du sollst deine Chance bekommen», versprach er. «Natürlich musst du wie alle anderen erst eine Probezeit überstehen. Wenn der Herausgeber nach dem ersten Monat der Meinung ist, dass du deine Arbeit gut machst, hast du den Job.»
Charlotte sprang auf und fiel Raymond um den Hals.
«Sie werden es nicht bereuen, Mr. O’Flanagan.»
· 33 ·
A ls Hugo Spelman seinen Chef vor der Tür seines Büros entdeckte, erstarrte er vor Schreck. In den zwanzig Jahren, in denen er die Zeitung leitete, hatte Raymond O’Flanagan nie auch nur einen Fuß in das Innere des Gebäudes gesetzt. Wenn er ihm etwas mitteilen wollte, schickte er einfach einen seiner Gehilfen mit einer Nachricht oder bat ihn darum, ins Hauptbüro zu kommen, einem Gebäude neben dem Old State House, von wo aus Raymond sein Wirtschaftsimperium mit Hilfe eines Heers von Anwälten und Buchhaltern führte.
Die Tatsache, dass er das Büro in seinem Elfenbeinturm verlassen hatte und sich höchstpersönlich zu Hugo begab, verriet, dass es sich um eine Angelegenheit handeln musste, die ihm am Herzen lag. Sie führten ein kurzes Gespräch. Raymond informierte seinen Herausgeber, dass am nächsten Tag eine junge Frau in der Zeitung anfangen würde. Sollte sie nach einer Probezeit von einem Monat nicht dazu in der Lage sein, gute Arbeit zu leisten, könnte Hugo sie wieder entlassen.
Obwohl O’Flanagan ihm versichert hatte, für eine eventuelle Entlassung freie Hand zu haben, war Hugo Spelman nicht wohl bei der Sache. Ob er sie entlassen müsste oder nicht, dem klugen Herausgeber war bewusst, dass er am Ende das Nachsehen haben würde.
Zwei Tage nach Antritt ihrer neuen Stelle kam Charlotte in Spelmans Büro. «Entschuldigen Sie bitte.»
«Ja?», antwortete er kurz angebunden.
«Hätten Sie vielleicht Zeit für ein kurzes Gespräch?»
Kaum war diese Frau hier, fing sie schon an, ihn zu belästigen. Jeden anderen Angestellten hätte er in hohem Bogen hinausgeworfen, aber Hugo war zu sehr Gentleman, um mit einer Dame ebenso umzuspringen, auch wenn sie tausend Mal seine Angestellte war.
«Treten Sie ein, Miss Lacroix.»
Charlotte blieb vor dem Schreibtisch stehen, bis ihr Chef sie seufzend aufforderte, sich zu setzen.
«Was gibt es denn?»
«Mr. Spelman, es tut mir schrecklich leid, Sie belästigen zu müssen», sagte sie mit einem engelsgleichen Lächeln. «Ich weiß, dass ich erst zwei Tage bei Ihnen bin, und vor allem möchte ich Ihnen für das Vertrauen danken, das Sie in mich setzen. Ich möchte auf keinen Fall, dass
Weitere Kostenlose Bücher