Fesseln des Schicksals (German Edition)
kommen sie doch niemals auf den Gedanken, dass ich einem konföderierten Offizier zur Flucht verholfen habe. Mach dir keine Sorgen.»
Aber Klaus machte sich Sorgen. Richards Zustand verschlechterte sich zusehends. Immer wieder verlor er für längere Zeit das Bewusstsein, und Klaus wollte ihn so schnell wie möglich in Sicherheit bringen. Sollte Scotts Plan nicht funktionieren, dann würden die Soldaten die Brücke überqueren können, und ihrer aller Leben wäre in Gefahr.
In diesem Moment erwachte Richard für einen Moment aus der Bewusstlosigkeit und lächelte. «Vertrau ihm. Er wird es schaffen», flüsterte er Klaus ins Ohr.
«Seid ihr denn alle beide verrückt geworden?»
Langsam drehte Richard sich zu Scott um. «Danke, mein Freund», sagte er. Scott trat zu ihm und drückte ihm die Hand.
«Pass auf dich auf, Richard.»
Kraftlos schloss Richard die Augen und lehnte sich wieder gegen Klaus’ breiten Rücken.
Klaus warf Scott einen letzten Blick zu und gab seinem Pferd die Sporen. Worte waren nicht mehr notwendig. Beide würden ihr Leben geben, um ihren Freund zu retten.
Sobald Klaus und Richard ihren Weg wieder aufgenommen hatten, kletterte Scott über das Brückengeländer und ließ sich seitlich zu einem der Pfeiler hinunter. Dort brachte er geschickt die Pulverfässchen an. Dann hangelte er sich zurück ans Ufer, bereitete die Zündschnur vor und versteckte sich im Unterholz.
Eine halbe Stunde später war Klaus auf einem Hügel angelangt und hielt sein Pferd im Schutz einer Baumgruppe an. Richard hatte wieder das Bewusstsein verloren.
Klaus sah, wie sich die Soldaten von der anderen Seite des Flusses her mit hoher Geschwindigkeit näherten. Jetzt konnte er auch Scott ausmachen, der die Zündschnur angezündet hatte und sich hinter einen Felsen duckte. Es ertönte ein dumpfer, kurzer Laut. Nur eine Sekunde später wäre die ganze Kolonne von der Detonation erfasst worden, aber Scott hatte darauf geachtet, niemanden zu verletzen. Als der Rauch verflogen war, musste Klaus feststellen, dass die Metallstruktur nicht beschädigt war. Die Soldaten, die beim Knall zurückgewichen waren, gruppierten sich jetzt neu, um die Brücke zu überqueren.
«Das konnte ja nicht gutgehen», fluchte Klaus. Ihm war bewusst, dass man Scott gefangen nehmen würde, sobald die Soldaten die Schlucht überquert hatten. Fieberhaft dachte er nach. Am liebsten wäre er umgekehrt, um Scott zu Hilfe zu eilen, aber er konnte Richard nicht allein zurücklassen und würde ohnehin nicht rechtzeitig da sein.
Und dann plötzlich hörte er das Knarren. Es war, als würde die Brücke ein metallisches Klagen ausstoßen.
Vor seinen erstaunten Augen brach die Brücke wie ein Kartenhaus zusammen.
«Verfluchter Yankee! Du hast es mal wieder hingekriegt!», rief Klaus voller Freude. Von dem tosenden Krach war jetzt auch Richard aufgewacht. Für einen Moment schlug er die Augen auf und lächelte.
«Ich habe es dir gesagt, Klaus. Ich wusste, er würde es schaffen», flüsterte er kraftlos. «Er hat mich zwar gebeten, das Geheimnis zu bewahren, aber eigentlich war nicht ich der Klassenbeste.»
«Warum bloß überrascht mich das nicht», lachte Klaus. Er wendete sein Pferd und nahm den Weg wieder auf. Jetzt musste er sich nur noch darum kümmern, Richard in Sicherheit zu bringen.
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S echs Monate später, am 19. April 1865, ergab sich General Lee im Appotamox Courthouse in North Carolina. Der Krieg, in dem Brüder gegeneinander gekämpft hatten und der die Erde mit dem Blut ihrer Söhne getränkt hatte, war endlich vorbei.
Als Brian und Noah nach Hause zurückkehrten, zog Charlotte wieder mit ihrem Bruder in die Arch Street.
Professor Watson, der erst in den Ruhestand gehen wollte, wenn er sicher sein konnte, dass sein Posten dem richtigen Mann übertragen würde, bot Noah an, Chefchirurg im General Hospital zu werden. Doch Noah zögerte. Er hatte sich während des Krieges einen guten Ruf als Arzt erarbeitet und überlegte, seine eigene Praxis zu eröffnen. Das Gehalt im Krankenhaus wäre eher bescheiden, obwohl er mehr Arbeit hätte. Trotz allem konnte Noah nicht vergessen, dass er nur an diesem Ort eine Chance bekommen hatte. Als er ein einfacher, schwarzer Medizinstudent gewesen war, hatte außer dem Professor niemand an ihn geglaubt. Er hatte eine Schuld bei ihm zu begleichen. Außerdem würde die Arbeit im Krankenhaus ihn daran erinnern, wo seine Wurzeln waren. Er würde sein Leben den Armen und Ausgestoßenen widmen, zu
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