Fesselndes Geheimnis
Sekunden vermeinte ich beinahe die Träger ächzen zu hören. Alsdann wurde die königlich wirkende Frau von einem silbernen Lichtkegel erfasst. Der im Verborgenen arbeitende Beleuchtungstechniker des »La Belle Folie« war wirklich geschickt.
»Meine Freunde und Freundinnen! In der Nacht der Sommersonnenwende findet abermals unser Fest am Strand statt! Ich habe uns wie immer den ›plage naturiste‹ reserviert und auch die Erlaubnis für ein Sonnwendfeuer erhalten …Euer Erscheinen wird also erwartet.« Sie klatschte in die Hände. »Und nun wie stets zur gleichen Zeit: Licht und Schatten, Schmerz und Lust. Das Zeichen ist gegeben«, sie malte drei ineinander verschlungene Ringe in die Luft, »essentiell wie stets, denn Rituale sind die Quelle unserer Energie. Lasst Tanz und Spiel beginnen, seid frei, entfaltet und entwickelt euch!«
Lebhaftes Gemurmel brandete rings um uns auf Anscheinend hatten alle Gäste auf dieses Zeichen gewartet. Raue und melancholische Blues-Rhythmen erfüllten mit einem Mal den Raum, Paare und Gruppen begannen zu tanzen, und beinahe fließend gingen die bloßen Tänze in einen erotischen Reigen über. Viele zogen sich aus oder entblößten sich bis auf knappste Dessous, ganz so, als hätte die Chefin
Entfaltet, entwickelt und entkleidet euch
gesagt.
Mara Noire glitt behände an ihrer Seite aus der Sänfte, und ich tat es ihr gleich. Seltsam erregt und zugleich neben mir stehend, hungrig und übersättigt zugleich durchstreifte ich den Raum, verspürte vorerstjedoch keine Lust, mich meines kleinen Schwarzen zu entledigen, ließ es aber zu, dass neugierige Hände meine Schulterträger herabstreiften und somit noch ein wenig mehr vom Ansatz meiner Brüste freilegten … Niemand versuchte mich zu bedrängen oder auch nur zu irgendetwas zu überreden. Und es ging nicht sofort zur Sache. Die knisternde, lustvolle Spannung baute sich allmählich auf, es war untersagt miteinander zu spielen, mehr zu tun als intensiv zu flirten, untersagt so lange, bis »das Ritual« begann.
Jeder und jede hielt sich an diese Regel. Erst wenn das Ritual begann, konnten sich die aufgestauten Energien entladen, Sehnsüchte, die sich mit ungeahnter Süße gefüllt hatten durch das Zurückhalten, die Verzögerung. Und so ließ ich mich treiben. Immer wieder suchte Gunter meine Nähe, doch ich wusste nicht, ob ich mich auf ihn einlassen wollte, und wich ihm unentschlossen einmal aus, ein anderes Mal trieb ich wieder auf ihn zu … womöglich wäre ich doch rasch in seinen Armen gelandet, aber im letzten Moment entschied ich mich für jemand anderen. Mir fiel ein anderer Mann auf, der im Alter etwa Mara Noire entsprach und ihr auch sonst seltsam ähnlich war. Genau dieser Mann hatte sich an der verdächtigen Limousine zu schaffen gemacht und von Madame Noire ein vertrauliches Schulterklopfen erhalten.
Entschlossen näherte ich mich ihm, der einsam – und noch vollständig bekleidet – in einer Ecke stand. Seine dunkelgrünen Augen blickten melancholisch in die Ferne, das schwarze, grau gesprenkelte Haar hing ihm strähnig in die Stirn. Irgendwie passte er nicht zu der lustvollen Heiterkeit ringsum. Seine etwas scheue, fast schüchterne Haltung machte es mir leicht, ihn freundlich anzusprechen.
»Sie stehen hier ganz allein … haben Sie vielleicht Lust, mit mir ein Gläschen Wein zu trinken?«
Überrascht schaute er mich an. Anscheinend nahm nicht oft jemand von ihm Notiz. Aber er zwang sich zu einem Lächeln. »Ja, wieso nicht. Leopold«, stellte er sich vor.
»Christine«, lächelte ich zurück.
Plötzlich begann er zu lachen, obwohl seine Augen weiterhin ihren traurigen Ausdruck behielten. »Oh ja, ich weiß. Ihr Name wurde heute oft genug genannt … und außerdem hat Mara schon zuvor häufig von Ihnen gesprochen.«
»Sind Sie … ähm … also Sie und Madame Noire? Sind Sie Maras …ähm …?« Ich schämte mich selbst meines Gestammels, konnte aber für Sekundenbruchteile keinen klaren Gedanken fassen..
»Ja, Mara ist meine Schwester. Meine Zwillingsschwester, um ganz genau zu sein.«
Ich folgte ihm aus dem Saal hinaus, zu einem gemütlich eingerichteten Raum mit mehreren Tischen und locker zusammenhängenden Sitzgruppen. Ihm gegenüber Platz nehmend sah ich zu, wie Leopold uns goldfarbenen Wein aus einer Karaffe in zwei tulpenförmige Gläser eingoss.
Der devote Bruder der dominanten Clubchefin
… Ich erinnerte mich daran, wie ehrfürchtig er zur Seite gewichen war, als Mara Noire ihm entgegen
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