Fessle mich!
endlich an die Arbeit.”
Sie schob ein paar verirrte Strähnen hinters Ohr zurück. “Es ist wirklich nichts Großartiges. Ray spricht nicht gerne darüber, aber er hat es mir auch nicht unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, deshalb kann ich es euch ruhig erzählen. Hört zu: Er hat auf der Brust eine zirka fünfzehn Zentimeter lange Narbe, die schräg über sein Herz verläuft.” Sie zeigte die Stelle. “Die hat er sich bei einem Streit in einer Bar irgendwo in der Karibik eingehandelt.”
Macy pfiff leise durch die Zähne. “Und was hatte er dort verloren?”
“Er war auf der Suche nach seinem jüngeren Bruder”, erzählte Sydney nach einer spannungsgeladenen Pause, “der seit über drei Jahren als vermisst gilt.”
Man hätte eine Stecknadel fallen gehört, so still war es plötzlich im Raum. Sydneys Worte ließen den ruhigen, unauffälligen Ray in einem ganz neuen Licht erscheinen. Wie hieß es gleich? Stille Wasser … Der Rest war Macy entfallen, aber sie würde dahinterkommen, sobald sie eine Antwort auf die Frage, wie Sydney die Narbe überhaupt entdeckt hatte, erhalten hatte.
Sie wollte sich gerade erkundigen, als Melanie plötzlich losprustete. “Tut mir leid”, stammelte sie kichernd. “Ich … Jess … Er hat auch eine Narbe mit einer beeindruckenden Geschichte.”
Chloe schmollte. “Ach, trägt
Mann
das neuerdings? Eric hat mir noch keine Narbe gezeigt. Der kann was erleben, wenn sich rausstellen sollte, dass er mir etwas verheimlicht!”
Jetzt, wo die Rede davon war, bereute Macy, Leo nicht nach dem Grund für seine Verletzung gefragt zu haben. Die Stelle war ihr aufgefallen, als sie unter der Dusche gestanden hatten. Und ehe sie wusste, was sie tat, verkündete sie: “Es scheint wirklich der neueste Schrei zu sein. Das Ding von Leo ist auf jeden Fall auch ziemlich groß.”
In der Stille, die auf ihre Worte folgte, hätte Macy sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen. Wieder einmal war ihr Mund schneller gewesen als ihr Gehirn. Typisch! Zum Glück blieben ihr etliche Minuten, um sich zu sammeln, denn ihre Freundinnen lachten Tränen.
“Und wie groß genau?”, fragte Sydney, ausgerechnet die brave, sanfte Sydney.
“Ich sprach von seiner Narbe. Vergesst es einfach.” Macy saß da wie ein begossener Pudel. Ihr Gesicht brannte, ihr Kopf glühte, wahrscheinlich war sie rot wie eine reife Tomate. Als die Lautstärke wieder ein erträgliches Niveau erreicht hatte, versuchte sie deshalb erst gar nicht, sich zu verteidigen. “Ich sage kein Wort, ehe Melanie nicht Jess’ Geheimnis enthüllt hat.”
Zum Glück sprang Kinsey ihr sofort bei. “Richtig, Mel, was hat er denn angestellt?”
“Er bringt mich um, wenn er erfährt, dass ich geplaudert habe. Also, eines Tages hat er sich überreden lassen, für eine Zeichenklasse der Kunstakademie als David zu posieren. Die Kursleiterin, die Ehefrau eines Arbeitskollegen, hatte ihn gebeten, sich dafür die Brust zu rasieren.” Melanie kicherte. “Na ja, das hat er auch getan und sich prompt geschnitten. Könnt ihr euch das vorstellen? Die Wunde musste sogar mit vier Stichen genäht werden!”
Wieder verging eine geraume Weile, ehe sich die
Girl Gear
-Partnerinnen beruhigt hatten. Die Vorstellung, dass sich der ruhige, fast schüchterne Jess bereit erklärt hatte, sich vor einer ganzen Kunstklasse auszuziehen, war einfach zu komisch.
“Meine Damen, bitte! Wir haben uns auf Kosten des armen Jess köstlich amüsiert, aber es wartet noch ein Stück Arbeit auf uns”, ermahnte Sydney schließlich und diesmal hatte sie Erfolg. “Ich weiß, dass es schwer ist, sich im Februar noch großartig für Skimode zu begeistern, aber so will es das Geschäft nun mal. Ich glaube, wir waren bei gIZMO-gIRL stehen geblieben. Bitte, Melanie!”
Melanie legte sich ein Kissen auf die Knie und stellte ihr Notebook darauf. “Ich verliere allmählich das Gefühl für die Jahreszeiten. Mein Jahr wird vollkommen vom
Girl Gear
-Rhythmus bestimmt: An Weihnachten kann ich das Wort nicht mehr hören, weil wir das Fest schon sechs Monate vorher vorbereiten.”
“An Weihnachten solltest du ja auch in Bikinistimmung sein, weil wir uns da schon auf die kommende Badesaison einstimmen”, rügte Sydney.
“In Bikinistimmung? Niemals!”, widersprach Melanie. “Ich bin viel zu bequem, um mir ständig die Beine zu rasieren, und mit Wachs brauchst du mir gar nicht erst zu kommen. Das tue ich mir nicht an.” Und schon entbrannte, sehr zu Sydneys
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