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Festung der Luegen

Festung der Luegen

Titel: Festung der Luegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.Steven York
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Stange als Balancierhilfe. Sie war so elegant, so schön, so selbstbewusst... und ich fühlte mich, als wäre ich mit ihr da oben. Alle Augen waren auf sie gerichtet - und ich wollte sein wie sie: der Star des Abends.«
    »Du bist ein Star«, hatte er gesagt, aber sie hatte das Kompliment ignoriert, war zu besessen davon, die Geschichte weiterzuerzählen.
    »Alles lief wunderbar, bis sie in der Mitte des
    Seils angekommen war. Dann ging etwas schief. Ich weiß nicht, was. Vielleicht hat sie einfach nur nach unten geschaut. Jedenfalls stolperte sie, schwankte ... Ich erinnere mich, dass sie die Stange fallen ließ. Es war ein sehr langer Fall, und als sie klappernd auf dem Arenaboden aufschlug, erkannte ich, dass kein Netz unter dem Seil aufgespannt war. Ich schaute wieder zu dem Mädchen hinauf. Sie stand nicht mehr. Sie hatte ein Knie auf dem Seil, streckte die Arme aus, versuchte verzweifelt, das Gleichgewicht zu halten. Ich konnte ihre Familie auf der Plattform am Ende des Seils sehen. Sie wollten zu ihr, hatten aber Angst, sie damit nur ganz vom Seil zu stoßen. Und die Plattform lag so entfernt. Es war so weit bis zum anderen Ende. Sie wirkte winzig klein.«
    »Was ist geschehen?«
    »Ich weiß es nicht. Meine Eltern packten mich, hielten mir die Augen zu und brachten uns zum nächsten Ausgang. Sie haben nie wieder davon gesprochen. Später, als ich älter war, kamen dann die Fragen. Ich wusste, ich konnte in den alten Pressedatenbanken nachschauen, ob an dem Tag ein Mädchen abgestürzt war. Ob sie verletzt worden war. Ob sie gestorben war.«
    »Und?«
    »Ich habe nie den Mut dazu aufgebracht. So lange ich es nicht nachlese, bleibt sie so, wie ich sie in Erinnerung habe: allein auf dem Hochseil. Aber sie ist unverletzt. Vielleicht steht sie wieder auf. Vielleicht findet sie ihr Gleichgewicht wieder und geht zurück - in Sicherheit. Vielleicht.«
    Und dann war der Augenblick vorbei. Sie hatten sich angezogen und waren wieder nach oben und zu den Gesprächen zurückgekehrt. Sie hatte ihn zurück zum Hotel begleitet, danach aber war sie vorsichtiger.
    Während er duschte und sich anzog, rief er seinen Adjutanten an und ging die eingetroffenen Mitteilungen durch. Wie angeordnet, hatte Lieutenant Clayhatchee die neuesten Einladungen, von denen er zwei bis drei am Tag erhielt, an Kinston weitergeleitet. Die meisten schienen weit unter der Einflussstufe angesiedelt, auf der Erik operieren musste, aber nur Kinston konnte das mit Gewissheit sagen.
    Er frühstückte im Hotelrestaurant mit seinem Adjutanten. Aus einer Laune heraus schickte er Blumen in Elsas Wohnung, dann ließ er den Wagen Vorfahren und machte sich auf den Weg zu Kinston.
    Der Mittler arbeitete heute im Kapitol, sie hatten in der Rotunde dort ein Treffen verabredet. Als sie am Diplomateneingang vorfuhren, war Erik von der Schönheit des Gebäudes beeindruckt. Drei goldene Kuppeln erhoben sich über der zentralen Rotunde, und drei lange Gebäudeflügel erstreckten sich strahlenförmig auswärts, jeweils in Richtung eines der drei Parlamentsgebäude.
    Der gesamte Regierungspalast erhob sich auf einem dreiseitigen, von einzelnen Bäumen bestandenen Gelände hinter einer niedrigen Granitmauer. Sämtliche Seiten des Kapitols präsentierten der Welt eine makellose Fassade. Erik fragte sich, wo sich die
    Mechanik befand, die unumgänglichen Seiteneingänge und Laderampen. Er sah auch keine Verbindungen zu den Parlamenten. Dann erinnerte er sich daran, was Elsa ihm über die Katakomben erzählt hatte. Vermutlich befand sich ein Großteil der Anlage unter der Oberfläche, komplett mit Tunneln, vielleicht sogar U-Bahnen, zwischen den Regierungsgebäuden und Arbeitstunneleingängen, die unter Umständen mehrere Querstraßen entfernt lagen.
    Er zeigte am Eingang seinen Diplomatenausweis und ließ sich den Weg zur Rotunde weisen. Er ging die halbe Länge eines Gebäudeflügels entlang und passierte nur noch einen Sicherheitsposten, bevor er das öffentlichere Rotundenareal erreichte. Die Schutzmaßnahmen erschienen ihm erstaunlich lax, aber die Shensiten lebten seit langer Zeit in Frieden und Sicherheit. Genau da lag aber Eriks Problem.
    Die Rotunde war ein riesiger, dreiflügeliger Raum, bis auf den öffentlichen Eingang zwischen den beiden Ostflügeln symmetrisch. Die drei Deckenkuppeln waren mit Wald- und Bergszenen bemalt. An den Stellen, wo sich zwei Flügel trafen, ließen fünf Stockwerke hohe Glaswände Tageslicht ein. Und die Eingänge zu den

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