Fetjaine, Jean-Louis - Die Elfen 02
...«
Merlin fuhr hoch und blieb abrupt stehen. Lliane hatte soeben mit ihm gesprochen, und er konnte sie endlich sehen. Sie wandte ihm den Rücken zu, war aber so nah, dass er nur die Hand hätte auszustrecken brauchen, um ihr langes schwarzes Haar zu berühren. Er vernahm sämtliche Geräusche des Waldes, das Zwitschern der Vögel, das Knacken der Bäume und die kleinen Gurgellaute des Babys, seine Atmung, seine plötzlichen Schreie, die fast wie glucksendes Lachen klangen.
»Siehst du, Myrrdin, dort ist es.«
Lliane drehte sich zu ihm um und schenkte ihm ein Lächeln. (War das nicht das erste Mal? Noch nie hatte sie ihn so vollkommen glücklich angesehen.) Der Kindmann wollte ihr antworten, aber sie war bereits wieder verschwunden. Trotz des Sonnenscheins kroch ein Dunstschleier um sie herauf, der wie ein hauchzartes Gewebe wirkte, und Myrrdin entdeckte, was sie ihm zeigte: einen reglos daliegenden See, grau wie eine Schiefertafel. Davor, einen Pfeilwurf entfernt, zeichnete sich ein lang gezogenes, flaches Stück Land ab, das sich über dem Wasser erhob und im Nebel verschwand. Er hustete, da ihm der stickige, metallische Geruch des Nebels bis tief in die Kehle drang, dann tat er einen Schritt nach vorn und spürte den Schlamm unter seinen Füßen, das eisige Wasser an seinen Beinen. Er lächelte, als er sein blaues Gewand um sich treiben sah, was ein seltsamer Anblick war ... Lliane war nicht stehen geblieben. Sie glitt zwischen den blühenden Seerosen, den Teichlilien und dem Schilfrohr hindurch und war bereits auf halbem Weg zu der Insel. Er schüttelte sich, zog mühsam seinen Fuß aus dem Schlick, doch schon beim nächsten Tritt blieb er erneut stecken, mühte sich bei jedem Schritt, und eine dumpfe Furcht schnürte ihm das Herz zusammen, während er zusah, wie sie sich entfernte. Lliane war nun bis zur Taille untergetaucht, doch sie kam unvermindert gut voran, und ihr Haar wogte sanft auf ihren bläulichen Schultern, sachte, ganz sachte. Sie erreichte das Ufer der Insel, blieb einen Augenblick neben einer Weide stehen, deren grün-gelbes Blattwerk gleich einem Wasserfall bis auf die Oberfläche des Sees herabfiel, strich zärtlich über die langen Zweige und setzte ihren Weg dann fort, ohne sich weiter um den Kindmann zu kümmern, der kläglich durch den Schlamm watete, bedrückt und stumm vor Angst. Die Sonne schimmerte durch den Dunst und brachte das Wasser zum Glitzern, das Llianes Rücken umspülte, ihr Gesäß, ihre langen Beine und immer noch wogte ihr Haar im Rhythmus ihres ruhigen Schrittes ... Myrrdin bemerkte den Blick Morganes sowie ihre kleine Hand, die sich zuckend bewegte.
»Wartet auf mich!«
Die Weide schien jetzt lebendig zu werden und ihre langen Zweige auszustrecken, um einen Vorhang entlang des Ufers zu bilden. Und die anderen Bäume erwachten ebenfalls zum Leben, wie in einem Albtraum. Er machte einen verzweifelten Versuch, sich aus dem Morast zu befreien, und fiel kopfüber nach vorne in das schwarze Wasser des Sees.
Als er hustend und spuckend wieder auftauchte, glaubte Myrrdin zunächst, er habe sie verloren, und stieß einen erstickten Schrei aus.
»Lliane!«
»Was sagst du da?«
Die Stimme Uthers, aus weiter Ferne ... Er durfte sich nicht ablenken lassen, Mutter und Tochter waren dort, oben auf einer Anhöhe, neben einem Baum.
»Merlin, was hast du gesagt?«
Ein Baum, der höher war als die anderen ... Ein knorriger, krummer Stamm mit einer Krone aus dicht mit Blättern und Früchten behangenen Zweigen.
»Habt ihr das gehört, ihr anderen?«
Der Kindmann spürte, wie er nach hinten gezogen wurde.
Kräftige Hände hielten ihn umklammert, und er schlug um sich in dem Bemühen, sich zu befreien.
»Dort ist es, Myrrdin ... Siehst du, es steht nichts mehr zu befürchten. Schau ...«
Lliane streckte die Hand aus und pflückte eine glänzende rote Frucht. Es war ein Apfelbaum. Der Baum der Erkenntnis ... Das hier war Avalon, die Apfelinsel. Emain Ablach nach der alten Überlieferung. Die Insel der Feen, zu der nie auch nur irgendjemand gelangte. Die Insel der Götter ... Und Lliane lächelte.
»Warte auf mich!«
Er versuchte erneut, nach vorne zu stürzen, aber die Hände, die ihn eisern umschlossen hielten, nahmen ihm jede Bewegungsfreiheit, und alles, was passierte, war, dass er der Länge nach in das buschige Gras des Hügels fiel.
»Lliane! Lliane!«
»Zum Teufel, Merlin, was redest du da?«
Der junge Druide schlug erschrocken die Augen auf. Das
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