Fettnäpfchenführer Spanien - Wie man den Stier bei den Hörnern packt
Geschäftspartnern essen (2)
oder: Gute und weniger gute Gesprächsthemen
»Ist doch noch ein bisschen Zeit, bis wir zum Essen gehen, und ich hätte da noch eine Frage zu unserem letzten Tagesordnungspunkt.« Auch Toms dritter Anlauf, die Zeit bis zum Essen zu nutzen, läuft ins Leere, denn jedes Mal, wenn er mit der Tagesordnung anfängt, erntet er peinliche Blicke. Und dann fängt wieder einer zu erzählen an, eine Anekdote aus dem Geschäftsleben, etwas, was damals, vor fünf Jahren, an einem Ort, den Tom nicht kennt, mit Kunden, die Tom auch nicht kennt, passiert ist und offenbar irre lustig war. Alle am Konferenztisch scheinen sich jedenfalls köstlich zu amüsieren und einige klopfen sich sogar die Schenkel und wischen sich eine Träne ab.
»Könnten wir das Essen vielleicht ein bisschen schneller hinter uns bringen?«, fragt Tom seinen Kollegen Javi auf dem Weg zum Restaurant. »Auf der Tagesordnung stehen ja ganze zweieinhalb Stunden fürs Mittagessen, so langsam kann doch keiner essen« – nicht mal ihr Spanier –, aber das verkneift sich Tom zu sagen. »Sonst kommen wir ja niemals mit unserer Tagesordnung durch«, meint er. »Und ich kann mittags sowieso nicht so viel essen.«
Javi ist kurz angebunden, weil er Toms Attacken auf den geplanten Tagesablauf allmählich dicke hat. Weil er aber Tom andererseits auch mag und seine seltsamen Ideen als kulturelle Missverständnisse zu bewerten gelernt hat, und weil er sowieso ein netter Mensch ist, sagt er: »Jetzt entspann dich doch einfach, Tom. Pass auf: Wir werden es so machen, wie wir es immer machen. Und zu einem Meeting, das über einen ganzen Tag geht, gehört einfach ein gemeinsames Mittagessen in einem guten Restaurant dazu, okay? Unsere Geschäftspartner würden alles andere als Affront auffassen. Und bitte, bitte, Tom, versuch die nächsten zwei Stunden nicht auf die Uhr zu sehen. Genieß das Essen, unterhalte dich gut und vergiss das Geschäftliche, okay? Du wirst sehen, es wird alles gut. Glaub es mir.«
»Und unsere Tagesordnung?«, jammert Tom.
»Wie wär’s, wenn du einen Flieger daraus bastelst?«, fragt Javi. »Denk nicht, dass wir das Geschäftliche vergessen haben. Oh nein! Wir reden nur nicht die ganze Zeit davon. Verstehst du?«
Nein, Tom versteht eigentlich nicht so richtig. Für ihn ist dieses lange Mittagessen verschwendete Zeit. Aber vielleicht kann man ja beim Essen das ein oder andere noch verbliebene Problem ansprechen?
Tische und Stühle aus dunklem Holz, weiß gedeckte Tische mit weinroten Servietten, blank polierte Weingläser, ein zuvorkommender Ober, der sie zu dem reservierten Tisch führt. Das Mesón ist kein Luxusrestaurant, eher traditionell, bodenständig, »gediegen« nennt Tom es für sich. Den Gästen aus Murcia scheint es jedenfalls zu gefallen. Beim Bestellen erkundigen sich alle bei Javier, welchen Wein und welche Speisen er empfehlen kann, und Kollege Javi gibt wort- und gestenreich Auskunft. Als Wein und Wasser serviert sind und jeder einen Teller mit der Vorspeise vor sich stehen hat, macht Tom den ersten Anlauf, über das geplante Projekt zu sprechen, dessen Eckdaten und Meilensteine er am Vormittag nicht mehr dazu kam zu erläutern. Doch sowohl bei seinem Sitznachbarn links wie rechts blitzt er ganz schnell damit ab. Ein Schlag gegen das Schienbein bringt ihn endgültig zum Schweigen. Der Tritt kam von Javi, der Tom gegenübersitzt und mit den Augen rollt, als Tom erschrocken Blickkontakt mit ihm aufnimmt. Er reibt sich das Schienbein und hält erst einmal den Mund.
»Wie lange sind Sie denn schon in Spanien?«, fragt ihn sein rechter Sitznachbar, »und wie gefällt es denn Ihnen bei uns?« Na gut, denkt Tom, dann machen wir eben ein bisschen Konversation. »Oh, es gefällt mir total gut und ich fühle mich hier auch total wohl, habe ja auch wirklich tolle Kollegen hier.«
»Wie kommen Sie denn mit unserer Mentalität zurecht? Unser Temperament ist ja doch ein bisschen anders als das von euch Mitteleuropäern, oder?«, fragt Ramón López links neben ihm, Don Ramón, wie die anderen ihn respektvoll nennen. Er ist der Vertriebschef der Firma aus Murcia.
»Na ja«, meint Tom freimütig. »Mit einigen Dingen komme ich gut zurecht, mit andern noch nicht so gut. Und manches verstehe ich auch einfach nicht.«
»So? Was denn zum Beispiel?« Don Ramón sieht Tom freundlich lächelnd an.
»Na ja«, bekennt Tom und übersieht Javis warnende Blicke. »Solche Spektakel wie den Stierkampf zum Beispiel. Ich kann
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