Fettnäpfchenführer Spanien - Wie man den Stier bei den Hörnern packt
Passanten zur Ordnung oder gar die Polizei zu rufen wegen Ruhestörung, das können Sie vergessen. Vielleicht sind Sie sowieso nicht der Typ dazu. Vor 24 Uhr gibt es so etwas wie Ruhestörung in Spanien jedenfalls gar nicht, und auch danach wird ein Beschuldigter immer einen Grund finden, warum er ein bisschen lauter oder länger feiern darf als üblich – falls ihn überhaupt jemand, gar die Polizei, danach fragt.
»Spanien geht auf die Ohren«, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Und dass Spanien eines der lautesten Länder der Welt sei. Aber, alles geht auch in Spanien nicht. 2006 hat sogar der Bürgermeister einer spanischen Kleinstadt sein Amt aufgeben müssen und ist zu einer Haftstrafe verurteilt worden, weil in seiner Stadt eine Keramikfirma in einem Wohngebiet Tag und Nacht einen Generator laufen ließ. Zehn Jahre lang, und ohne Genehmigung. Über zehn Jahre hinweg beschwerten sich die Bürger darüber, aber der Bürgermeister stellte sich taub und schickte Beamte mit schadhaften Messgeräten los, die keine Beeinträchtigung feststellten. Bis ein Gericht schließlich der extremen Lärmbelästigung und auch gleich dem Bürgermeister auf einen Streich ein Ende machte.
Am glücklichsten sind alle – Sie selbst eingeschlossen –, wenn Sie versuchen, sich ein wenig an die spanische Lebensart anzupassen. Wie spät jemand isst oder wie lange Leute in Bars oder auf Terrassen zusammensitzen oder im eigenen Garten feiern, das ist zuallererst deren Angelegenheit. Seien Sie kein miesepetriger aguafiestas , kein besserwisserischer Spaßverderber. Und vor allem: Belehren Sie Ihre spanischen Mitmenschen, bei denen Sie zu Gast sind, nicht. Das kennt man eher aus Deutschland, in südlichen Ländern weniger. Dieses Anblaffen eines Radfahrers, der sich auf den Fußweg verirrt hat oder umgekehrt eines Fußgängers, der den Fahrradweg (illegalerweise!) benutzt – Sie wissen, was wir meinen. Lassen Sie locker, bleiben Sie cool. Das ist spanische Lebensart. Cool sein, tranquilo [tran ki lo], wie die Spanier sagen, nur nicht aus der Ruhe bringen lassen. Und wenn Sie wegen der fiesta der Nachbarn nicht schlafen können? Dann gehen Sie am besten rüber und trinken einen mit, das macht auch müde.
27. Postlos in Spanien
oder: Correos kommt von correr
Nachdem Toms Besuch aus Deutschland wieder abgereist, die kleine Tour durch Castilla-La Mancha beendet und der SEAT Ibiza wieder heil an die Autovermietungsfirma abgegeben worden ist, hat Tom an den Wochenenden wieder mehr Zeit für sich. Er hat sich vorgenommen, wieder mal etwas für seine Gesundheit zu tun und dabei seine neue Heimatstadt Madrid etwas näher kennenzulernen. Also geht er nicht in eines der vielen gimnasios [chim na sios] (Fitnessstudios), die hier wie Pilze aus dem Boden schießen. Nein, er geht Joggen, und zwar jeden Samstagvormittag in einen anderen der vielen Madrider Stadtparks. So hat er sich das jedenfalls vorgenommen. Er hatte ja gehofft, dass einer seiner Kollegen, Javi zum Beispiel, mit seinem schlaffen Bäuchlein unterm Poloshirt, mitkommen würde. Oder auch Neus, die rubia del bote aus der Grafikabteilung. Aber beim Angebot Jogging – die Spanier sagen footing [ fu tin] dazu – fiel Javi auf einmal ganz viel ein, was er am Samstag unbedingt noch erledigen wollte, und Neus musste mit ihrer Tochter auf den Spielplatz gehen, weil Tanya, das ecuadorianische Kindermädchen ►, das Neus’ Tochter betreut, wenn ihre Eltern keine Zeit haben, samstags frei hat.
Ohne die Südamerikanerinnen, allen voran den Ecuadorianerinnen, läuft in Madrid im Haushalt und bei der Kinderbetreuung nicht mehr viel. Sie arbeiten in Spanien als Haushaltshilfen, Kinderpflegerinnen ( niñeras ), Baby- oder Omasitter. Babysitter heißen in Spanien übrigens sehr bildlich canguros , Kängurus. Die ecuadorianas übernehmen die Haus- und Pflegedienste, die früher üblicherweise von Frauen innerhalb der Familien erledigt wurden. Nicht alle von ihnen sind legal im Land, sondern es halten sich auch viele ohne Papiere ( sin papeles ) in Spanien auf. Für berufstätige Mütter und Eltern sind sie mittlerweile unentbehrlich geworden. In den letzten Jahren bekommen die Südamerikanerinnen in diesem Sektor allerdings zunehmend Konkurrenz von Osteuropäerinnen, vor allem Rumäninnen.
Na gut, dann läuft Tom eben allein. Für heute hat er sich den Retiro-Park im Herzen Madrids ausgesucht. Es ist früher Vormittag und der Park noch angenehm leer. Tom arbeitet sich von außen ins Herz
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