Feuer der Leidenschaft
wenn Ihr einen Wutanfall bekamt.«
Ihr Vater holte geräuschvoll Luft. »Tut mir leid, Rebecca«, sagte er zerknirscht. »Das hatte ich nicht gewußt. Deine Mutter …« Er brach mitten im Satz ab.
Nein, ihre Mutter hatten seine Wutanfälle nicht gestört, weil sie ein ebenso hitziges Temperament besessen hatte wie ihr Vater. Es war Rebecca gewesen, die jedesmal aus dem Zimmer rannte und sich unter ihrem Bett versteckte, wenn ihre Eltern zornig wurden und sich gegenseitig anschrien.
Um das ihr peinliche Schweigen zu durchbrechen, sagte sie nun rasch: »Mein Vater hatte Schwierigkeiten mit dem Bild dort, Captain Wilding. Er meinte, daß Euch vielleicht etwas einfallen könnte, das ihm weiterhilft. Es ist das letzte Gemälde des Waterloo-Zyklus. Der Herzog hat ihm dafür selbst Modell gestanden.«
Wilding drehte sich jetzt zu dem Gemälde um. Da sie ihn genau beobachtete, entging ihr nicht, wie sich die Haut über seinen Wangenknochen straffte. Sie hatte ihn anfangs für einen kühlen und leidenschaftslosen Mann gehalten, lernte jetzt aber, auch die leisesten Anzeichen einer Gemütsregung in seinem Gesicht zu erkennen.
»Wellington, wie er seinen Truppen den Befehl zum Angriff gibt«, murmelte der Captain. »Es ist ein wenig bedrückend, diesen Moment noch einmal vor Augen zu haben.«
»Ihr habt ihn gesehen, als er das Signal zur Attacke gab?«
fragte sie rasch.
»Ja, obwohl ich damals natürlich viel weiter von ihm entfernt war.« Er betrachtete das Gemälde jetzt genauer.
»Sir Anthony«, fragte er, »war es Eure Absicht, ein klassisches, idealisierendes Porträt von einem Helden zu malen, oder sollte es vielmehr eine realistische und tatsachengetreue Darstellung der Schlacht von Water-loo werden?«
Ihr Vater öffnete den Mund und schloß ihn wieder, ehe er nach einer Weile sagte: »Wellington ist ein bedeutender Mann, und ich möchte, daß jeder, der dieses Bild sieht, seine Größe erkennt. Ich will, daß dieses Bild im Geist des Betrachters fortlebt. Ich möchte, daß die Leute noch in zweihundert Jahren von Seatons Wellington sprechen.«
»Vielleicht ist Eure Darstellungsweise zu klassisch und zu verhalten, um diese Wirkung zu erreichen«, sagte der Captain leise. »Der Herzog und sein Pferd sehen so sauber und geleckt aus, als würden sie über einen Paradeplatz reiten. Waterloo war nicht so. Nach einem tagelangen erbitterten Ringen waren die Soldaten und Pferde erschöpft, schmutzig und mit Schweiß und Pul-verschleim bedeckt. Ich konnte selbst aus der Entfernung die Spuren der überstandenen Strapazen im Gesicht des Herzogs erkennen.«
»Wie sah sein Gesicht denn im Moment der Attacke aus?« fragte Sir Anthony.
Wilding dachte einen Moment nach, ehe er antwortete:
»Die Sonne hing tief am Himmel, und ein Lichtstrahl traf sein Gesicht, als er den Hut vom Kopf riß und das Signal zum Angriff gab. Man kann den Ausdruck, den sein Gesicht in jenem Moment hatte, nicht wirklich be-schreiben - aber ihr solltet daran denken, wie viele Jahre er damals bereits gekämpft hatte, um diesen Punkt zu erreichen. In Spanien hatte er jahrelang auf fast ver-lorenem Posten gestanden - ungenügend versorgt, an der Spitze einer kleinen Armee, die der seines Feindes hoffnungslos unterlegen war. Es war sein unbeugsamer Wille, der ihm jetzt den Sieg in greifbare Nähe gebracht hatte - doch er hatte viele seiner treuesten Freunde sterben sehen. Die Härte in diesem Mann, sein stählerner Wille, sollte sichtbar werden.«
»Dumm von mir, den Herzog so zu malen, wie er mir im Studio erschien«, murmelte Sir Anthony zu sich selbst.
»Ich hätte versuchen sollen, mir vorzustellen, wie er damals aussah.« Er warf dem Captain einen raschen Blick zu. »Gibt es noch etwas, was ich bedenken sollte?«
Wilding deutete auf den Hintergrund des Gemäldes. »Die Soldaten sind so deutlich zu erkennen wie an einem wolkenlosen Tag im Mai. Das ist falsch - das Schlachtfeld war eine Hölle aus beißendem schwarzem Pulverrauch.
Manchmal war es unmöglich, hundert Yards weit zu sehen.«
Sir Anthonys Augen wurden schmal, als er jetzt sein Gemälde studierte. »Ich könnte eine transparente graue Lasur verwenden, um diesen Effekt zu erzielen«, sagte er nachdenklich. »Aber Wellington ist der Schlüssel. Der Stahl. Ich muß den Stahl zeigen, der in ihm steckt.«
»Welche Bilder gehören außer diesem hier und der Kavallerieattacke im Eßzimmer noch zu diesem Zyklus?«
fragte der Captain Rebecca.
Sie ging zu einer Mappe, die auf einem Tisch
Weitere Kostenlose Bücher