Feuer der Lust - Page, S: Feuer der Lust
verheiratet waren, hatte sie Prudence belogen. Sie hatte sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Zutritt zu einer Welt verschafft, in die sie nicht gehörte, und die ganze Zeit eine Frau belogen, die sich ehrlich gewünscht hatte, ihre Freundin zu sein.
Tief in ihrem Herzen glaubte Grace nicht, dass es eine schlechte Frau aus ihr machte, wenn sie mit einem Mann schlief, mit dem sie nicht verheiratet war, aber in Prudence’ Welt galt diese Regel.
Sie wollte sich umdrehen und zu ihrer schlichten Kutsche laufen, wollte ohne ein weiteres Wort fliehen und ihren Tränen freien Lauf lassen, aber sie versuchte, hocherhobenen Hauptes dazustehen, wie es von einer Dame erwartet wurde.
„Ich denke nicht, dass ich um deine Vergebung betteln sollte“, erklärte Grace mit fester Stimme, „aber ich entschuldige mich bei dir.“ Wofür denn aber eigentlich? Dafür, dass sie versucht hatte, eine gute Freundin zu sein? Dafür, dass sie eine Frau aus Fleisch und Blut war, die dumm genug gewesen war, ihr Herz zu verlieren? Aber sie unterdrückte das brennende Verlangen, sich zu verteidigen und stieß hervor: „Es tut mir leid.“
Nachdem die Worte heraus waren, wich sie dem hochmütigen Blick ihrer Freundin aus, wandte sich abrupt um und ging durch den Regen davon.
Prudence sagte nichts, und Grace drehte sich nicht noch einmal um. Es war erniedrigend, durch den Regen zu gehen. Aber Erniedrigung war ein Gefühl, das sie schon bald sehr gut kennenlernen würde. Das hier war nur ein Vorgeschmack, schon bald würde sie sich immer so fühlen.
In wenigen Wochen würde Prudence, ihre frühere Freundin, nach London kommen. Daran musste Grace denken, als sie die wartende Kutsche erreichte, neben der die Diener mit ausdruckslosen Gesichtern warteten. Würde Prudence bei dem üblen Gerede mitmachen, das aufkommen würde, wenn Wesley seine Version der Geschichte herumerzählte?
Devlin hatte behauptet, er habe Wesley unter Kontrolle, aber Wesley war ein Edelmann mit besten Verbindungen zum Königshof. Noch dazu ein verdammt hochmütiger. Warum sollte er tun, was sein Halbbruder ihm sagte?
Als sie neben der Kutsche stand, konnte sie nicht anders – sie blieb stehen und machte Anstalten, sich umzudrehen, weil sie Prudence noch einmal sehen wollte. Ihre Hände zitterten. Was würde in London geschehen? Würde Prudence überhaupt zugeben, dass sie einmal miteinander befreundet gewesen waren, oder würde sie es abstreiten?
Doch als Grace den Kopf wandte, sah sie hinter sich nur die leere Auffahrt. Prudence war ohne ein Wort gegangen.
Der livrierte Lakai erreichte Grace mit Lord Wesleys Nachricht, bevor sie die schlichte schwarze Kutsche besteigen konnte.
„Von Lord Wesley, Miss“, erklärte der junge Diener.
Hatte er seine Schadenfreude auch noch zu Papier gebracht? Oder war es womöglich eine Entschuldigung?
Irritiert über die Welle warmer Hoffnung, die ihr Herz überflutete, entfaltete Grace das schlichte Blatt Papier. Es enthielt eine Aufforderung, ihn im Sommerhaus zu treffen – einem hübschen Steingebäude, das auf einem künstlichen Hügel stand, von dem aus man den Garten überblicken konnte.
Nur ein Dummkopf – oder jemand, der auf Erniedrigung versessen war – würde dorthin gehen.
Aber sie musste wissen, was er ihr sagen wollte. Ihre Zukunft hing davon ab.
„Lassen Sie die Kutsche warten“, wies sie den Diener an. Dann raffte sie ihre Röcke, überquerte die Auffahrt und ging zu dem schmalen Pfad, der sich durch die berühmten Gärten von Collingworth wand und bei den Steinstufen endete, welche zum Sommerhaus hinaufführten.
Nach etwa einer Viertelstunde erreichte sie die Marmorsäulen vor der Tür. Ihr Herz flatterte in ihrer Brust. Wo war Wesley? Im Haus? Oder war er nicht gekommen? Hatte er sie ein Mal mehr zum Narren gehalten?
„Kommen Sie herein, Miss Hamilton.“
Das arrogante Näseln kam durch die angelehnte Haustür. Früher hatte sie den gedehnten, sündig klingenden, aristokratischen Tonfall anziehend gefunden – nun brachte der Klang seiner Stimme sie dazu, mit den Zähnen zu knirschen. Doch sie stieß die Tür auf und trat ein.
Das sollte ein Sommerhaus sein?
Mit den dick gepolsterten Bänken und den einladenden Stühlen, ausgestattet mit kostbaren Schnitzereien und Gemälden, war es schöner als Grace’ Zuhause. Wesley rekelte sich auf einem Sofa, den einen in einem Stiefel steckenden Fuß auf den Boden gestützt, während er mit dem anderen die beigefarbene Seide des Sitzes beschmutzte.
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