Feuer in eisblauen Augen
war er auch, ganz ehrlich”, bekräftigte Annie. “Er war nur einfach nicht für eine Familie geschaffen. Und ich bin genau so wie er. Ich bin froh, dass ich wenigstens etwas aus seinen Fehlern gelernt habe. Ich tauge auch nicht fürs Familienleben.”
“Vielleicht unterschätzt du deine Fähigkeiten”, entgegnete Mark zärtlich. Wen will ich eigentlich überzeugen, fragte er sich nachdenklich.
“Onkel Mark?”
“Hm?”, fragte er und sah auf. Seine Nichte stand in der Tür zu seinem Büro. Sie hielt ihren zerzausten Löwen im Arm und spielte mit dessen Ohren. Mark blickte nachdenklich auf das ramponierte Plüschtier. Er erinnerte sich, dass Emily es nach dem Tod ihrer Eltern immer an sich gedrückt hatte. Aber seit ein paar Monaten genügte es ihr, ihren Liebling nur nachts im Bett im Arm zu halten. Mark stellte sich darauf ein, dass sie ihm jetzt die gefürchteten Fragen stellen würde.
“Ich dachte …”
“Ja, Em, was gibt es?” Er ging blitzschnell mögliche Antworten durch: Ja, ich habe Annie geküsst, weil ich sie sehr mag. Manchmal, wenn Erwachsene sich sehr mögen, dann … Das war ja viel schwieriger, als er sich das vorgestellt hatte.
“Hm, kann ich Bea eine Karte mit guten Wünschen schicken?”
“Was?”, fragte er. Er musste sich wohl verhört haben.
“Ich möchte Bea eine Karte schicken”, wiederholte Emily.
Mark fiel ein Stein vom Herzen. “Natürlich kannst du ihr eine Karte schicken, aber ich glaube, sie ist fast wieder gesund. Ich habe ihr doch von uns beiden einen Blumenstrauß gesandt.” Er lehnte sich zufrieden zurück. Wahrscheinlich war Emily gestern Abend nur kurz heruntergekommen, um nach Kitsu zu sehen, und hatte sie beide gar nicht bemerkt. Sie waren ja auch sehr leise gewesen. Aber Mark schwor sich, wenn er Annie noch einmal küssen würde, dann nur noch in seinem Zimmer.
“Ich weiß doch, dass du Bea Blumen geschickt hast, Onkel Mark. Aber Bea soll auch von mir einen Gruß bekommen.”
Er sah den entschlossenen Zug im Gesicht seiner Nichte, den er sehr gut von seiner Schwester kannte. Es war gut, dass sie den starken Willen von ihrer Mutter geerbt hatte. Damit würde sie im Leben weit kommen. Er zog an Emilys Pferdeschwanz. “Also gut. Wir können morgen in ein Geschäft gehen und eine nette Karte kaufen, oder wir machen gleich eine am Computer.”
Emily strahlte. “Dann lass uns eine am Computer machen.”
Das war schnell erledigt. Mark schrieb ihr auch noch einen Umschlag und gab ihr die Briefmarke. “Ich kann die Karte morgen für dich einwerfen.”
“Onkel Mark, das möchte ich gern morgen selber tun. Annie kann mich doch zum Briefkasten fahren”, erwiderte Emily. Irrte er sich, oder war das Kind ein wenig rot geworden?
Na ja, mit Annies Hilfe würde Bea die Karte sicher erst zu Weihnachten bekommen. Aber gut, wenn Emily das allein machen wollte, sollte es ihm recht sein. Ihre Selbständigkeit erfüllte ihn sogar mit Stolz.
Er sah ihr nachdenklich hinterher. Er hatte sich darauf eingestellt, ein so schwieriges Thema wie Sex mit ihr zu erörtern, aber Emily wollte nur eine Karte an Bea schreiben.
Anscheinend waren Kinder wirklich unberechenbar.
“Annie?”
“Hm?” Sie waren beide in der Küche und verzierten jede eine Pizza. Unter Annies Händen entstand ein Clownsgesicht, Emily hatte sich an das Abbild von Kitsu gewagt. Annie sah großzügig darüber hinweg, dass das Kind so verschwenderisch Kakaopulver über die Pizza streute. Das Tier brauchte schließlich ein Fell. Und da Emily versprochen hatte, die Pizza auch zu essen und eine Schüssel Salat dazu, sagte Annie nichts.
“Wir haben bald einen Projekttag in der Schule, Annie. Dazu sollen wir unsere Mütter einladen, damit sie uns ein wenig von ihrem Alltag erzählen können. Wenn wir aber keine Mom haben, dürfen wir auch eine andere erwachsene Lady mitbringen, die wir besonders interessant finden.”
“Du möchtest, dass ich mit in deine Schule komme?”, fragte Annie überrascht. Die Bitte des Kindes freute sie.
“Ja!”, sagte Emily und nickte heftig. “Weißt du, die meisten Moms machen so etwas Langweiliges. Sie sind entweder Anwältin oder Zahnärztin. Alle werden denken, dass es richtig cool ist, einen Clown mitzubringen.”
So ist das also, dachte Annie ein wenig enttäuscht. Emily meinte gar nicht sie, sondern Gertrude. Sie würde der Kleinen gern den Gefallen tun, aber sie durfte keine Hoffnungen in ihm wecken, die sie nicht erfüllen konnte. Sie musste ihr ganz deutlich
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