Feuer Und Stein
latinisierte Begriff für ein ähnliches Produkt war, nur diesmal von Schafen. Auch MAUSEOHR erwies sich als tierischer, nicht pflanzlicher Herkunft; ich schob leise schaudernd das Glas mit den winzigen getrockneten Öhrchen von mir.
Ich hatte mich gefragt, was wohl Oniscus wäre, das bei vielen Rezepten eine wichtige Rolle spielte, und freute mich, als ich ein verkorktes Glas fand, auf dessen Etikett dieser Name zu lesen war. Das Glas schien halbvoll mit kleinen grauen Tabletten. Sie hatten nicht mehr als einen halben Zentimeter Durchmesser und waren so vollkommen rund, daß ich über Beatons Geschick beim Pillendrehen staunte. Ich hielt mir das Glas vor das Gesicht und wunderte mich darüber, wie leicht es war. Dann sah ich die feinen Kerben auf jeder »Tablette« und die mikroskopisch kleinen Beinchen. Ich stellte das Glas hastig fort, wischte mir die Hand an der Schürze ab und prägte mir eine weitere Erkenntnis ein. Für »Oniscus« lies Bohr-, Kugel- oder Kellerassel.
In Beatons restlichen Gläsern waren mehr oder minder harmlose Substanzen; manche enthielten getrocknete Kräuter oder Extrakte, die tatsächlich hilfreich sein mochten. Ich entdeckte Veilchenwurzel und Essig, mit denen Mrs. FitzGibbons Jamies Verletzungen behandelt hatte. Ebenso Angelika, Wermut, Rosmarin und ein Glas, das irreführend mit ASA FOETIDA beschriftet war. Ich öffnete es vorsichtig, aber es enthielt nichts weiter als die zarten Spitzen von Tannenzweigen. Sie verströmten einen angenehmen Duft. Ich stellte das entkorkte Glas auf den Tisch, damit der kleine dunkle Raum von dem Wohlgeruch erfüllt wurde, während ich mit meiner Bestandsaufnahme fortfuhr.
Als unbrauchbar rangierte ich ein Gefäß mit getrockneten Schnecken aus; ebenso REGENWURMÖL - was genau das zu sein schien; VINUM MILLIPEDATUM - zerstoßene Tausendfüßler in Wein; MUMIENPULVER - ein undefinierbarer Staub, der wohl eher von einem Flußufer stammte als aus einem Pharaonengrab;
TAUBENBLUT, Ameiseneier, in Moos eingepackte getrocknete Kröten und MENSCHLICHER SCHÄDEL, PULVERISIERT.
Es dauerte den größten Teil des Nachmittags, all die Borde und den Apothekenschrank mit den vielen Schubladen zu inspizieren. Als ich fertig war, hatte ich eine Unzahl von Gläsern, Gefäßen und Kästchen zum Wegwerfen vor die Tür gestellt und eine wesentlich kleinere Kollektion von möglicherweise nützlichen Dingen wieder auf den Borden verstaut.
Nachdenklich rieb ich mir die Hände an der Schürze ab. Ich hatte mir jetzt fast alles angesehen - außer der Truhe an der Wand. Ich klappte den Deckel auf und prallte vor dem Gestank zurück, der ihr entstieg.
Die Truhe beherbergte die chirurgische Abteilung. Sie enthielt eine Fülle von ominös aussehenden Sägen, Messern, Meißeln und anderem Gerät, das für einen Bauplatz geeigneter schien als für empfindliches menschliches Gewebe. Der Gestank rührte daher, daß Davie Beaton es für wenig sinnvoll gehalten hatte, seine Instrumente nach Gebrauch zu säubern. Angewidert verzog ich beim Anblick der dunklen Flecke auf einigen Sägeblättern und Klingen das Gesicht; dann schlug ich den Deckel der Truhe zu.
Ich schleifte sie zur Tür, da ich Mrs. FitzGibbons sagen wollte, daß die Instrumente ausgekocht und an den Zimmermann der Burg weitergereicht werden sollten.
Eine Bewegung hinter mir warnte mich gerade noch rechtzeitig, bevor ich mit den Menschen zusammenstieß, die eintreten wollten. Ich drehte mich um und sah zwei junge Männer; einer stützte den anderen, der auf einem Bein hopste. Sein lahmer Fuß war unordentlich in einen blutigen Fetzen gewickelt.
Ich blickte in die Runde und deutete auf die Truhe, weil es sonst keine Sitzgelegenheit gab. »Nehmen Sie Platz«, sagte ich. Anscheinend war die neue Heilerin von Burg Leoch jetzt im Dienst.
8
Eine Abendunterhaltung
Ich legte mich völlig erschöpft ins Bett. Seltsamerweise hatte es mir Spaß gemacht, die Hinterlassenschaft des verstorbenen Beaton zu durchwühlen; und die Behandlung meiner paar Patienten hatte mir wieder das Gefühl gegeben, fest im Leben zu stehen und mich nützlich machen zu können. Fleisch und Knochen unter meinen Fingern zu spüren, den Puls zu fühlen, Zungen und Augäpfel zu inspizieren - all diese vertrauten Tätigkeiten hatten die Panik, die mich begleitete, seit ich durch den gespaltenen Stein getreten war, ein wenig gedämpft. Wie seltsam die Umstände sein mochten und wie deplaziert ich mir auch vorkam, es war sehr tröstlich zu merken, daß ich
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