Feuer Und Stein
Reihe von Tieren verfügbar bleiben. Und mit etwas Glück würde man, wenn ich eines davon entwendete, den Dieb unter dem zwielichtigen Volk vermuten, das sich auf dem
Jahrmarkt und bei den Spielen herumtrieb. Und im Durcheinander des Abschieds konnte es eine Weile dauern, bis jemand entdeckte, daß ich fort war.
Ich schlenderte am Zaun der Koppel entlang und sann über Fluchtrouten nach. Die Schwierigkeit war, daß ich nur eine sehr vage Vorstellung davon hatte, wo ich war, und da mich nun so ziemlich jeder MacKenzie zwischen Leoch und der Grenze kannte, weil ich bei den Spielen als Heilerin gewirkt hatte, würde ich mich nirgends nach dem Weg erkundigen können.
Ich fragte mich plötzlich, ob Jamie Colum oder Dougal von meinem gescheiterten Fluchtversuch berichtet hatte. Keiner von beiden hatte es mir gegenüber erwähnt, also hatte Jamie vielleicht den Mund gehalten.
Es waren keine Pferde in der Koppel. Ich stieß die Stalltür auf, und mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich sah, daß Jamie und Dougal Seite an Seite auf einem Ballen Heu saßen. Mein Anblick schien sie ebenso zu verwirren wie mich der ihre, doch sie standen höflich auf und baten mich, Platz zu nehmen.
»Schon gut«, sagte ich, den Rückzug antretend. »Ich wollte nicht stören.«
»Das tun Sie auch nicht, Mädchen», erwiderte Dougal. »Was ich Jamie gerade gesagt habe, betrifft Sie ebenfalls.«
Ich blickte Jamie an, der mit einem leichtem Kopfschütteln reagierte. Also hatte er mich tatsächlich nicht verraten.
Ich setzte mich mißtrauisch, denn ich dachte an die kleine Szene auf dem Flur am Abend des Eides.
»Ich breche in zwei Tagen auf«, sagte Dougal unvermittelt. »Und euch zwei nehme ich mit.«
»Wohin?« fragte ich verblüfft. Mein Herz begann rascher zu klopfen.
»Kreuz und quer über die MacKenzie-Ländereien. Colum reist nicht, und so fällt es an mich, die Pächter zu besuchen, die nicht zur Versammlung kommen konnten. Da und dort muß ich mich auch um Geschäfte kümmern …« Dougal machte eine wegwerfende Handbewegung, wie um anzudeuten, daß dies belanglos sei.
»Aber warum ich? Ich meine - warum wir?« fragte ich.
Dougal überlegte einen Moment, bevor er antwortete. »Weil Jamie eine glückliche Hand mit Pferden hat. Und was Sie angeht, Mädel, so glaubt Colum, es sei das beste, wenn wir Sie nach Fort
William bringen. Der dortige Kommandant … kann Ihnen vielleicht dabei helfen, Ihre Familie in Frankreich zu finden.« Oder dir dabei helfen festzustellen, wer ich wirklich bin, dachte ich. Und was erzählst du mir sonst noch alles nicht? Dougal starrte mich an und fragte sich offenbar, wie ich die Neuigkeit aufnahm.
»In Ordnung«, sagte ich gelassen. »Das scheint mir eine gute Idee zu sein.« So ruhig ich äußerlich blieb, innerlich jubelte ich. Welch ein Glück! Nun brauchte ich nicht mehr von der Burg zu fliehen. Dougal würde mich den größten Teil des Weges führen. Und von Fort William aus würde ich den Rest der Strecke wohl selber finden. Zum Craigh na Dun. Zum Steinkreis. Und mit etwas Glück nach Hause.
DRITTER TEIL
Unterwegs
11
Gespräche mit einem Advokaten
Zwei Tage später, kurz vor Sonnenaufgang, ritten wir durchs Tor von Burg Leoch. In Zweier-, Dreier- und Vierergruppen überquerten die Pferde die steinerne Brücke. Ich schaute dann und wann zurück, bis die Burg schließlich hinter einem Vorhang aus schimmerndem Nebel verschwand. Bei dem Gedanken, daß ich dieses düstere Gemäuer und seine Bewohner nie wiedersehen würde, empfand ich ein seltsames Bedauern.
Der Hufschlag der Pferde klang gedämpft. Die Stimmen trugen in der feuchten Luft eigenartig weit, so daß man Rufe vom einen Ende des Zuges ohne weiteres am anderen hörte, während sich die Laute von nahen Gesprächen in abgerissenem Gemurmel verloren.
Ich ritt in der Mitte der Kavalkade, auf der einen Seite begleitet von einem Bewaffneten, dessen Namen ich nicht kannte, auf der anderen von Ned Gowan, dem Schreiber, den ich an Colums Gerichtstag bei der Arbeit gesehen hatte. Wir kamen miteinander ins Gespräch, und ich entdeckte, daß er mehr als ein Schreiber war.
Nämlich Advokat. Er war in Edinburgh geboren und aufgewachsen, und dort hatte er auch seine Ausbildung bekommen. Er war klein, stand im höheren Lebensalter und hatte sehr korrekte Manieren. Er trug einen Rock aus feinem schwarzen Tuch, wollene Strümpfe, ein Leinenhemd mit einem bescheidenen Spitzenkragen und eine Reithose aus einem Stoff, der einen wohlüberlegten
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