Feuer und Wasser (Urteil: Leben!) (German Edition)
imstande, seiner Beschäftigung nachzugehen. Obwohl er nicht mehr müde ist – Schlaf fehlt ihm nicht. Andrew fühlt sich nur so erschöpft. Er will sich mit Josie auf eine Wiese setzen, sie umarmen und warten, bis dieses beschissene Gefühl, ständig zu weinen, wieder verschwunden ist. Er möchte nicht hinter seinem Schreibtisch ausharren und sich die ganze Zeit sinnfreie Tabellen ansehen, oder in dämliche Visagen blicken und dabei einen interessierten Eindruck vortäuschen, während man die sinnfreien Tabellen verbal zum Besten gibt.
Er verspürt nicht die geringste Lust !
Aber er muss arbeiten, nicht wahr? Er wird bis weit nach siebzehn Uhr im Büro sein und vielleicht den einen oder anderen Termin außer Haus erledigen. Als Nächstes wird er heimfahren und die folgenden drei / vier Stunden im dortigen Arbeitszimmer zubringen ... und dann ...
Plötzlich kommt ihm eine seltsame Frage in den Sinn: warum?
Weshalb kann er sich denn heute nicht freinehmen? Droht das Unternehmen zusammenzubrechen, die Welt unterzugehen, die Menschheit auszusterben, nur weil Andrew Norton einen Tag blaumacht? Einen verdammten Tag?
Smiths Nachfolger?
Er seufzt. Ach ja ...
Der zweite Schrank für dein Schnuckelchen?
›Hey, ich warne dich. Ein falsches Wort und ich mach dich kalt!‹
Dämliche Frage bei einem total Irren, aber du weißt, dass du dich dann selbst killst, ja?
›Ist mir so was von scheißegal! Wenn dir endlich dein verdammtes Maul gestopft wird, ist es mir das wert. Beleidige sie noch ein einziges Mal, und ich BRINGE DICH UM! ‹
Der DS hat die Hände erhoben. Sachte, sachte, Norton. Ich wollte ihr ja überhaupt nicht zu nahe treten. Himmel sind wir heute empfindlich! Du hast den Termin mit Finch gestern klargemacht. Willst du nun ihren Schutz optimal sicherstellen, oder nicht?
Ja, natürlich hat er das vor, denn er kann sie nicht ewig mit sich herumzerren. Obgleich dieser Gedanke fast seine Lungen zum Kollabieren bringt, ist es wohl erforderlich, sich endlich der Realität zu stellen: Sie sind keine siamesischen Zwillinge. Josie wird fordern, den einen oder anderen Weg allein zu bewältigen und ihm bleibt nicht die geringste Alternative, außer einzuwilligen. Aber vielleicht, wenn er für den Nachfolger – die Nachfolgerin – gesorgt und diesen zweiten Mann genauestens begutachtet hat, vielleicht können sie dann früher ...
Norton!
Der holt tief Luft ... vielleicht können sie früher gehen? Soweit er sich erinnert, ist es an ihm, das Essen zuzubereiten. Nach dem gestrigen Dinner wird er sich ins Zeug legen müssen, um eine echte Konkurrenz darzustellen. Möglicherweise am Nachmittag ... Nur ein wenig ...
Du erinnerst dich, dass du bereits einen Tag in dieser Woche blaugemacht hast, Norton?
›Ja ... Aber ehrlich. Zweimal in zwölf Jahren. Hey! Das war wirklich nicht zu viel ...‹
Willst du mich verarschen? Du hast in jedem einzelnen dieser zwölf Jahre drei Tage ÜBERHAUPT NICHTS getan!
›Na ja, überhaupt nichts ...‹
Es wird dunkel, denn sie fahren in die Tiefgarage. Niemals hat Andrew sich in dem Gebäude gefangener gefühlt, als in diesem Moment. Er will nicht! Doch er wird. Natürlich wird er.
So ist es richtig.
›Ach halt endlich deine verdammte Schnauze!‹
Der DS ist offenbar beleidigt, nachdem Andrew sein Mädchen mit einiger Anstrengung losgelassen hat und ausgestiegen ist, meldet er sich nämlich nicht.
Andrew nimmt nicht ihre Hand, das ist zu wenig. Auf dem Gang in seine tägliche, persönliche Hölle hat er einen Arm um sie gelegt und sie fest an sich gezogen.
Dabei ignoriert er jeden einzelnen grinsenden, forschenden, empörten, missbilligenden, manchmal sogar besorgten Blick, der ihnen auf dem Weg begegnet. Inklusive Gails, deren Miene sich nach kurzer Inaugenscheinnahme seiner Person in reines Entsetzen verwandelt.
Irgendwie scheint er heute nicht besonders gut auszusehen ...
Mr. Brute
Josie
D ie Blicke, die ihnen folgen, als sie von der Tiefgarage hinauf zum Büro fahren, sind Josie egal. Niemand hat hier eine Ahnung und es interessiert sie einen Scheißdreck, was die Leute so denken.
Doch bei Gails Miene verhält es sich etwas anders.
Dem Mädchen gelingt es genau so lange, sich zusammenzureißen, bis Andrew die Tür hinter sich geschlossen hat und sie mit ihr allein ist. Dann wirbelt die alternde Assistentin zu ihr herum.
»Was. Ist. Mit. Ihm. Geschehen?« Keine Klatsch Gail, diesbezüglich hat sich Josie wohl getäuscht. Oh nein, diese hier ist zutiefst besorgt.
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