Feuer und Wasser (Urteil: Leben!) (German Edition)
mit grauen Schläfen, randloser Brille und ruhigem, intelligentem Gesicht, nickt zustimmend, jedoch nicht zu eifrig, was Andrew mehr als angenehm aufstößt.
Dann folgt das, worauf es nie eine Resonanz gibt, denn seine Herren und Damen Vorstandsmitglieder sind dämlich, allerdings keine Selbstmörder.
»Gibt es sonst noch irgendwelche Anmerkungen?«
Und nach einer weiteren Minute befindet er sich in seinem Büro. Inzwischen ist es neun Uhr dreißig. Er liegt wieder innerhalb seines Planes. Bevor er aber an seinen Schreibtisch gehen kann, hält Gail ihn zurück. »Ließ Miss Kent verlauten, wann sie eintreffen wird?«
»Nein.«
»Ich verstehe.« Ihre Augenbraue ist erhoben und die Lippen gespitzt.
Andrew ignoriert beides. »Sonst noch irgendwelche Fragen?«
Sie mustert ihn und der Bogen über ihrem linken Auge senkt sich langsam, doch der widerlich verzerrte Mund bleibt. »Nein, Sir!«
»Bringen Sie mir einen Kaffee. Der Termin mit Mr. Hargreve wurde nicht abgesagt?«
»Nein, Sir!«
»Dearinger?«
»Um zwölf Uhr dreißig, wie vereinbart, Sir!«
Andrew schließt hinter sich die Tür und begibt sich an seinen Schreibtisch. Er hat verschlafen, okay. Aber: Er ist nicht müde ! Ganz im Gegenteil, Andrew fühlt sich, als könnte er Bäume ausreißen.
Kurz darauf erscheint Gail mit seinem Kaffee. Sie hat den Raum fast schon wieder verlassen, als ihm etwas einfällt.
»Wenn Miss Kent eingetroffen ist, schicken Sie die junge Dame als Erstes zu mir.« Er hat keine Ahnung, wie sie diese Anordnung aufnimmt, denn Andrew hält den Kopf gesenkt und hört daher nur ihr übliches:
»Sehr wohl, Sir!«
Als Nächstes ordert er bei Finch einen Bodyguard für Josie.
Wie immer zeigt der sich unbeeindruckt. Auch, als Andrew ins Detail geht: Der Kerl soll zuverlässig sein und darauf achten, dass sie nur zwischen der Holding und Andrews Haus hin und her chauffiert wurde. Keine Alleingänge.
»Wie soll reagiert werden, sollte sie sich Ihren Anweisungen widersetzen?«
Das ist eine neue Masterfrage, nicht wahr?
»Folgen, mich umgehend informieren, nicht aus den Augen lassen. In verdächtigen Situationen sofort eingreifen.«
Nach einer Stunde sieht Andrew das erste Mal auf. Er kann sich nicht daran erinnern, jemals so konzentriert und dennoch entspannt, gearbeitet zu haben. Langsam drängt sich ihm die Vermutung auf, dass er diese Schlafentzugsgeschichte in all den Jahren wohl etwas unterbewertet hat.
Ihn verwirrt jedoch, dass sich bisher seine Tür noch nicht geöffnet hat, um eine ausgeschlafene und äußerst hübsche Miss Kent zu offenbaren. Mit jeder Minute, die vergeht, steigert sich diese Verwirrung. Irgendwann wird daraus erst Sorge, dann nackte Panik.
Soll er Johnson anrufen?
Nein, entscheidet Andrew nach kurzer Überlegung. Das würde wirken, als wolle er sie kontrollieren, was zwar durchaus in seiner Absicht liegt, aber wahrscheinlich ist es ratsam, sie nicht unbedingt mit der Nase darauf zu stoßen. Abgesehen davon hat er sie angewiesen, sich Zeit zu lassen.
Richtig.
Es gibt keinen Grund, die Dinge überzubewerten. Doch er hätte sich bedeutend wohler gefühlt, wäre dieser Bodyguard bereits im Einsatz gewesen. Johnson ist gut, wer weiß das besser als sein Chef? Seine Fähigkeiten, was das Lenken eines Wagens betrifft, war mit Sicherheit die geringste Ursache für die Einstellung. Hat Andrew ihm jedoch die Brisanz der Angelegenheit auch verdeutlicht?
Er muss auf sie aufpassen! Hat er das realisiert?
Nach reiflicher Überlegung beantwortet er diese gewichtige Frage mit einem ‚Ja’. Schließlich war es Johnson, der sie als Erstes in der Gruppe dieser Hurensöhne entdeckte. Er zögerte keine Sekunde, um ihr zu Hilfe zu eilen. Nein, Andrew ist überzeugt, sein Chauffeur hat eine ungefähre Vorstellung, was sie seinem Chef bedeutet. Er wird auf sein Mädchen achten und er kann beruhigt seiner Arbeit nachgehen – zumindest so beruhigt, wie er es zustande bringt, wenn er nicht genau weiß, wo sie sich im Moment aufhält und was verdammt noch mal sie dort treibt!
Das Telefon geht. Gail! Sein Herz vollführt einen Satz. Endlich! Doch Andrew wird enttäuscht.
»Sir, Mr. Hargreve ist soeben eingetroffen!«
Der alte Haudegen!
Bereits Andrews Vorgänger unterhielt über zwei Jahrzehnte mit Peter Hargreves Unternehmen geschäftliche Beziehungen. Der Mann lässt es sich nicht nehmen, seine Verträge alljährlich neu auszuhandeln. Jedes Mal gelingt es ihm, mindestens die Inflationshöhe herauszuholen. Er ist ein
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