Feueraugen II. Drei Städte
so viel gequasselt, dass mir jetzt noch der Schädel brummt. Wir müssen zuerst überprüfen, wie viel Dichtung die Wahrheit überlagert. Was wir da alles erfahren haben, muss nicht unbedingt stimmen."
Michel seufzt nur. Er kennt Rodolphe und ahnt, dass dieser Draufgänger nichts unversucht lassen wird, wenn es darum geht, seinem Chef aus der Patsche zu helfen. Vielleicht ist Rodolphe etwas rau, aber dass er zu seinen Leuten steht, hat er schon oft bewiesen.
"Die ganze Sache erinnert mich an unser Abenteuer in Marokko. Der Chef hat da einen seiner ersten Filme gedreht und bis auf den Signore und Ricci war noch keiner von euch dabei. Am Anfang war's ziemlich langweilig - dann sind wir mit einigen Beduinen zusammen gerumpelt – wegen irgendeiner Kleinigkeit, würd' ich sagen. Einer der Scheichs wollte uns an den Kragen und es wurde richtig spannend zum Schluss." Rodolphe lacht bei dieser Erinnerung in sich hinein. "Ach, dieser Baldwin! Man kann ihm nicht vorwerfen, dass er seinem Team nichts bietet. Ein kleines Abenteuer ist immer drin!"
Beim Essen erzählen Michel und Emma abwechselnd, was Rodolphe noch nicht wissen kann. Der hört aufmerksam zu - aber genaugenommen interessiert er sich nur für den Krämer.
"So, X ist also auch dabei. Schön, das ändert die Lage. Auf den Mann kann ich zählen. Und dieser Krämer ... taugt der was?"
Michel und Emma wissen nicht, was Rodolphe meint.
"Sieht er nach was aus? Ist er kräftig? – Hat er Mumm?"
Nachdem sie ihm dies bestätigt haben -ohne davon wirklich überzeugt zu sein- bittet sich Rodolphe Ruhe aus. Er legt sich zurück, stopft ein Pfeifchen und raucht dieses in aller Gelassenheit.
Sein Unterschlupf kann sich sehen lassen. Über einen Hinterhof sind sie in ein leerstehendes Haus gelangt. Im Dachgeschoss hat sich Rodolphe eingenistet. Durch eine Luke bietet sich ihnen ein nützlicher Ausblick über die umliegenden Häuser und eine enge Gasse, die zu einem Platz führt, an dem eine Kirche steht. Hier sind sie, zumindest vorläufig, einigermaßen sicher.
"Bis die Nacht 'reinbricht, bleiben wir hier!" sagt Rodolphe etwas später. "Wenn's dunkel ist, machen wir uns auf die Socken."
"Wie viel Uhr mag's denn jetzt sein?" forscht Michel. "Oder haben die hier noch keine Zeit?"
"Schau' aus der Dachluke. Die Kirchturmuhr da drüben zeigt die genaue Zeit an."
Verwundert stellen Emma und Michel fest, dass der Turm der Kirche am Platz mit einer sehr schönen Uhr ausgestattet ist.
"Wirklich eigenartig. Wieso haben die keine Sonnenuhr? Vom Bäcker wissen wir, dass er seine gute Stube mit irgendwelchen Öllampen erhellt und dann das."
"Es hat keinen Sinn, sich über alles, was hier für uns nicht ganz normal ist, den Kopf zu zerbrechen, Michel." unterbricht Rodolphe. "Wir sind nicht in unserem Mittelalter! Wir haben eine andere Welt entdeckt und wir sollten sie nehmen, wie sie eben ist!"
"Dös is aber nicht leicht!" meint Emma.
"Leichter als Du denkst, Mädchen." Rodolphe steht bei der Dachluke und späht vorsichtig hinaus. "Hab' mich hier ein bisschen umgesehen. Vieles gefällt mir besser als bei uns. Scheint unter den Leuten keinen Streit zu geben. Vielleicht täusch' ich mich, aber es sieht so aus, als wenn hier jeder mit sich und seinem Leben zufrieden ist. Einziger Wermutstropfen ist die Nachbarschaft zu Destrusion ... das Land ähnelt eher wieder unserer Welt. Hier in Cultivasion – den Namen find' ich übrigens gut – hat man so 'ne Art Utopia geschaffen, während bei den Nachbarn alle paar Minuten was daneben geht. Na, wie auch immer – viel konnte ich auch nicht in Erfahrung bringen. Musste mich ja verborgen halten. Eins steht jedenfalls fest: diese Feueraugen-Sache kann ich mir eher in Destrusion vorstellen als hier. Da drüben fehlt nur noch der Herrscher mit dem Namen Xaber Dingsda ..."
"... Dracer!" hilft Michel.
"Genau. Wenn dieser Schreiberling in Dublin oder wo immer ..."
"Caulk?"
"Genau. Wenn der hier gewesen ist, dann hat er bestimmt auch Destrusion besucht. Auf dem Weg zurück nach Hause muss er dann umgekommen sein. Der Begleiter aus dem Dorf ... Vagor?"
"Nagor!"
"... der hat's zumindest auf die Ebene geschafft, der Typ selbst nicht mehr."
Rodolphe hat zwar die Namen aus der Geschichte, wie sie ihm Emma und Michel erzählt haben, etwas verdreht – doch bleibt so oder so zuletzt die eine Frage offen, die Emma ausspricht.
"Wie kommen wir nachert wieder heim?"
"Woher soll ich das wissen, verdammt noch mal. Zuerst befreien wir den Chef und
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