Feuerflut
D. C.
DEN GRILLABEND KONNTE er vergessen.
Obwohl die Explosion in Utah erst vor einer Stunde stattgefunden hatte, wusste Painter Crowe bereits, dass er die ganze Nacht im Büro verbringen würde. Ständig trafen neue Berichte ein, doch da der Unglücksort so abgelegen war, waren die Informationen bislang noch äußerst vage. Sämtliche Geheimdienste Washingtons waren eingeschaltet und darum bemüht, sich ein Bild von der Lage zu machen.
Das galt auch für Sigma.
Painters Organisation war ein verdeckt arbeitender Ableger der DARPA, der Forschungs- und Entwicklungsbehörde des Verteidigungsministeriums. Seinem Team gehörten handverlesene Soldaten der Spezialeinsatzkräfte an – solche mit überdurchschnittlichem IQ oder außergewöhnlichen mentalen Eigenschaften. Sigma bildete sie in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen für eine Agententätigkeit im Auftrag der DARPA aus. Die Teams kamen in der ganzen Welt im Kampf gegen globale Bedrohungen zum Einsatz.
Normalerweise fielen Vorfälle wie der in Utah nicht in den Aufgabenbereich von Painters Team, doch die ungewöhnlichen Begleitumstände hatten das Interesse seines Vorgesetzten General Gregory Metcalf geweckt, des Leiters der DARPA. Painter hätte Einspruch dagegen erheben können, dass die Ressourcen von Sigma in einer so heiklen Angelegenheit zum Einsatz kamen, doch infolge der merkwürdigen Begleitumstände der Bombenexplosion hatte der Präsident – dem Sigma bereits einmal das Leben gerettet hatte – Painter in dieser heiklen Angelegenheit persönlich um Unterstützung gebeten.
Und Präsident James T. Gant schlägt man keine Bitte ab.
Deshalb war Painter gezwungen, den geplanten Grillabend mit seiner Freundin zu verschieben.
Nun stand er mit dem Rücken zum Schreibtisch und blickte auf die großen Flachbildschirme an den drei Wänden seines Büros. Darauf waren verschiedene Ansichten des Explosionsorts dargestellt. Die besten Bilder kamen von den CNN-Kameras, die den Vorfall aufgezeichnet hatten. Die anderen Monitore zeigten pixelige Videos und Fotos, die von Handys stammten, den digitalen Augen des neuen Jahrtausends.
Zum hundertsten Mal schaute er sich die Endlosschleife von CNN an. Eine ältere Frau – Dr. Margaret Grantham, die Anthropologin – beugte sich über eine militärgrüne Transportkiste. Sie löste die Verriegelung und hob den Deckel an. Da passierte etwas. Die Kamera schwenkte wild umher. Hinter der Anthropologin sah man eine flüchtende Person – dann blitzte es.
Mit der Fernbedienung fror er das Bild ein. Er blickte ins Zentrum der Explosion. Wenn er die Augen zusammenkniff, konnte er in der blendenden Helligkeit den Schatten der Frau ausmachen, ein dunkles Gespenst inmitten des Gleißens. Er spulte im Einzelbildmodus vor und beobachtete, wie der Schatten vom Licht verzehrt wurde und sich verflüchtigte.
Bedrückt schaltete er auf Normalwiedergabe. Von hier an ging es drunter und drüber: Man sah Bäume, den Himmel, rennende Menschen. Schließlich fand der Kameramann einen Standpunkt, an dem er sich sicher genug fühlte, um weiterzufilmen. Der qualmende Explosionsort kam ins Bild. Noch immer flüchteten Menschen. Einige untersuchten vorsichtig die Unglücksstelle. Im nächsten Moment brach ein dampfender Geysir aus dem Boden und verjagte die Nachzügler.
Auf dem Schreibtisch lag ein vorläufiger Bericht des Sigma-Anthropologen. Er vermutete, dass bei der Explosion ein »unterirdischer geothermischer Fluss« angezapft worden war.
Painter starrte den Geysir an. Jetzt war er nicht mehr unterirdisch. Auf der topografischen Karte im Lagebericht des Geologen waren die umliegenden heißen Quellen verzeichnet. Der Bericht war sachlich gehalten, trotzdem wurde die Begeisterung des jungen Wissenschaftlers spürbar, sein brennendes Verlangen, das Phänomen vor Ort zu erkunden.
Painter wusste eine solche Leidenschaft zu schätzen, doch die Nationalgarde hatte die Unglücksstelle abgesperrt. Man suchte nach der nur undeutlich erkennbaren Person, die für die Explosion verantwortlich war. Mit der Fernbedienung fror er das Bild wieder ein und betrachtete die Attentäterin, die nur kurz und undeutlich zu erkennen war.
Den Augenzeugenberichten zufolge handelte es sich um eine junge Frau. Sie hatte einen Rucksack mit C4-Sprengstoff samt Zündern abgeworfen und war in den Wald geflüchtet. Die Nationalgarde, die örtlichen Polizeikräfte und die FBI-Agenten aus Salt Lake City versuchten, das Gebiet abzusperren, doch in dem
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