Feuerklingen (First Law - Band 2)
dem Hals saß, aber das Gesicht war trotzdem nicht zu verkennen, wie es zu dem fein modellierten Stuck an der Decke hinaufgrinste, die Zähne gebleckt, die Augen weit aufgerissen.
»Kronprinz Raynault wurde ermordet«, murmelte Glokta.
Der Erzlektor hob die behandschuhten Hände und schlug langsam und ganz sanft mit zwei Fingerspitzen gegen die Handfläche. »Oh, bravo. Wegen derartig scharfsinniger Beobachtungen habe ich nach Ihnen geschickt. Ja, Prinz Raynault wurde ermordet. Eine Tragödie. Eine unvorstellbare Gräueltat. Ein schreckliches Verbrechen, das unsere Nation im Innersten trifft, jeden ihrer Bürger. Aber das ist noch nicht einmal das Schlimmste.« Der Erzlektor holte tief Luft. »Der König hat keine Geschwister, Glokta, verstehen Sie? Jetzt hat er auch keine Erben mehr. Wenn der König stirbt, was glauben Sie, woher wir unseren nächsten ehrenwerten Regenten bekommen werden?«
Glokta schluckte.
Ich verstehe. Was für eine scheußliche Unannehmlichkeit.
»Aus dem Offenen Rat.«
»Eine Wahl«, fauchte Sult. »Der Offene Rat wird unseren nächsten König wählen. Ein paar hundert selbstsüchtige Halbidioten, die sich ohne Beratung noch nicht einmal für das nächste Mittagessen entscheiden können.«
Glokta schluckte.
Beinahe würde ich ja meinen Spaß an der misslichen Lage Seiner Eminenz haben, läge mein Kopf nicht neben dem seinen auf dem Henkersblock.
»Wir sind im Offenen Rat nicht besonders beliebt.«
»Wir werden dort gehasst. Seit unserem Vorgehen gegen die Tuchhändler, die Gewürzhändler, gegen Lord Statthalter Vurms und wegen noch ein paar anderen Kleinigkeiten werden wir mehr verabscheut als sonst jemand. Keiner der Edelleute traut uns.«
Wenn der König dann also stirbt …
»Wie steht es um die Gesundheit des Königs?«
»Nicht. Gut.« Sult sah finster auf die blutigen sterblichen Überreste. »Unsere ganze Arbeit könnte mit diesem Schlag zunichte gemacht worden sein. Es sei denn, Glokta, wir schaffen uns im Offenen Rat ein paar Freunde, solange der König noch lebt. Es sei denn, wir können genug Einfluss erlangen, um seinen Nachfolger auszuwählen oder zumindest die Wahl zu beeinflussen.« Er starrte Glokta an, und die blauen Augen glänzten im Kerzenlicht. »Wir müssen Stimmen erkaufen, erpressen, locken und drohen, damit alles nach unseren Vorstellungen läuft. Und Sie können davon ausgehen, dass die drei Dreckskerle da draußen genau dasselbe denken. Wie bleibe ich an der Macht? Mit welchem Kandidaten sollte ich mich verbünden? Wessen Stimmen kann ich kontrollieren? Wenn wir den Mord bekannt geben, dann müssen wir dem Offenen Rat versichern können, dass wir den Mörder bereits gefasst haben. Dann muss schnell, brutal und höchst sichtbar der Gerechtigkeit Genüge getan werden. Wenn die Wahl nicht zu unseren Gunsten ausfällt, wer weiß schon, wen man uns vorsetzen wird? Brock auf dem Thron, oder Ischer oder Heugen?« Sult schüttelte sich entsetzt. »Wir werden unsere Positionen verlieren, bestenfalls. Schlimmstenfalls …« …
treiben mehrere Wasserleichen unten an den Kais.
»Deswegen müssen Sie mir den Mörder des Prinzen bringen. Jetzt.«
Glokta sah auf den Leichnam.
Vielmehr auf das, was von ihm übrig ist.
Er bohrte mit der Spitze seines Stocks in der großen Fleischwunde an Raynaults Arm herum.
Solche Wunden haben wir schon einmal gesehen, an der Leiche in dem Park vor vielen Monaten. Ein Verzehrer hat das getan, zumindest sollen wir das glauben.
Ein leichter, kalter Windstoß ließ das Fenster sanft gegen den Rahmen klappern.
Ein Verzehrer, der durch das Fenster eingestiegen ist? Den Spionen des Propheten sieht es nicht ähnlich, solche Spuren zu hinterlassen. Wieso ist Raynault nicht einfach verschwunden, wie Davoust? Hatte der Täter vielleicht keinen Hunger mehr, oder was sollen wir davon halten?
»Haben Sie schon mit dem Wächter gesprochen?«
Sult machte eine wegwerfende Handbewegung. »Er sagt, dass er die ganze Nacht über wie gewöhnlich vor der Tür stand. Er hörte ein Geräusch, betrat das Zimmer und fand den Prinzen so, wie Sie ihn jetzt vor sich sehen. Er blutete noch, und das Fenster stand offen. Er schickte sofort nach Hoff. Hoff schickte nach mir, und ich nach Ihnen.«
»Der Wächter sollte trotzdem gründlich befragt werden …« Glokta sah auf Raynaults verkrampfte Hand. Es steckte etwas darin. Mit einiger Kraftanstrengung bog er die Finger auf, während sein Stock unter seinem Gewicht zitterte, und zog es hervor.
Interessant.
Ein Stück
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