Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
Lederjacke, die er
sofort als Maria Teske von der Husumer Rundschau erkennt. Er legt einen
Schritt zu, als ihm auffällt, dass die Journalistin am Ende der Straße nach
rechts in die Innenstadt abbiegen will.
»Frau
Teske, hallo, auf ein Wort!«, ruft er ihr hinterher.
Die
Frau dreht sich erstaunt um. »Hauptkommissar Swensen! Seit wann sind Sie denn
hinter mir her?«
»Das
ist ein Trugschluss, Frau Teske! Ich bin erst hinter Ihnen her, wenn Sie sich
nicht gesetzeskonform verhalten.«
»Dann
weiß ich nicht, was Sie von mir wollen. Ich hab eine reine Weste.«
»Sind
Sie sicher? Wie ich sehe, wollen Sie nicht zu meiner Pressekonferenz.«
»Stimmt
leider. Bin an einer größeren Story dran. Aber es wird sicher ein anderer
Kollege anwesend sein.«
»Schade!
Ich wollte Sie eigentlich um einen Gefallen bitten.«
»Bitten
Sie! Ich bin ganz Ohr!«
Swensen
hat bei dem, was ihn gerade antreibt, einen kurzen Anflug von schlechtem
Gewissen. Es ist natürlich völlig unbuddhistisch, die Gier der Presse nach
Exklusivem auszunutzen. Trotzdem kann er nicht widerstehen. Der kleine Trick
könnte vielleicht Bewegung in den Fall bringen. Er greift in seine
Jackeninnentasche und zieht ein Foto heraus.
»Dieses
Foto ist eine Computerrekonstruktion des Toten aus dem Wilden Moor . Es
wird nachher mit der Bitte, es zu veröffentlichen, an alle Presseleute
verteilt.«
»Dann
geben Sie es doch meinem Kollegen.«
»Ich
wollte Ihnen unter der Hand dazu eine inoffizielle Information anvertrauen. Wir
kennen uns jetzt lange genug. Ich erwarte nur, dass Sie damit fair umgehen.«
»Jetzt
machen Sie mich neugierig, Herr Swensen!«
»Wir
sind uns ziemlich sicher, dass dieser Mann ein türkischer Soldat war«, spricht
er die Worte wie von selbst. Er kann nicht fassen, wie kinderleicht er jemandem
in die Augen lügen kann.
»Ein
türkischer Soldat?«
»Ja,
sehr wahrscheinlich. Es geht um die Invasion der Türkei auf Zypern. Da wäre es
damals fast zu einem Krieg zwischen Griechenland und der Türkei gekommen.«
»Krieg
um Zypern? Wann soll das denn gewesen sein?«
»Der
Zypernkonflikt?« Swensen denkt angestrengt nach. »Das muss … genau … Anfang der
Siebziger.«
»Kein
Wunder! Da ging ich noch auf die Grundschule!«
»Es
könnte sein, dass es sich bei dem Mord um eine Vergeltung zwischen Griechen und
Türken handelt. Dafür gibt es allerdings keinen Beweis.«
»Hier
in Husum? Das wäre der Hammer! Würde genau zu meiner jetztigen Story passen!«
»Von
mir haben Sie das aber nicht, kein Sterbenswörtchen, versprochen!?«
»Versprochen,
Herr Swensen! Eine Hand wäscht die andere!«
Meine
Taten sind mein wirkliches Erbe, denkt er, als die Journalistin davoneilt.
Jetzt wäre er am liebsten im Erdboden versunken.
*
Seit dem Zusammentreffen mit dem Kommissar ist ihr Körper wie
elektrisiert. Es kribbelt unangenehm in den Armen, als wenn sie an ein blankes
Stromkabel gefasst hätte. Unentwegt hat sie das Gesicht von dem ermordeten
Türken vor Augen. Das Feuermal brennt sich in ihr Bewusstsein. Die Journalistin
stoppt, kramt in ihrer Handtasche nach der Packung Cohiba Mini und
fingert ein Zigarillo heraus. Das Feuerzeug ist mal wieder verschwunden. Sie
sieht ihr verärgertes Gesicht in einer Schaufensterscheibe. Unter dem
Spiegelbild starrt ihr ein blankes Puppengesicht entgegen. Im cremefarbenen
Bakelit an der Stirn klafft ein feiner Riss. Maria steht vor dem Laden von
Helmut Schwermer, dem bekannten Husumer Puppendoktor. Die Auslage ist voller
defekter Körper, abgerissener Ärmchen und Beinchen. Die Journalistin fühlt
sich, als würde sie gerade einen Tatort inspizieren, an dem Schreckliches
passiert ist. Plötzlich wird das unheimliche Bild von zwei großen Augen
überlagert, die sie böse anblicken, braune, stechende Augen. Es sind die Augen
von Georgios, dem grau melierten Koch aus dem Restaurant Aphrodite . Sie sieht
das blutige Küchenbeil in seiner Hand und zuckt innerlich zusammen.
Der
Sohn des Priesters ist der Enkel des Teufels, schießt ihr das griechische
Sprichwort durch den Kopf. Die Worte wirken wie ein Omen.
Die
ganze griechische Familie kommt aus Zypern, rekapituliert sie. Das ist doch
kein Zufall. Vielleicht bin ich ungewollt in einen Kriminalfall gestolpert.
Sie
geht weiter und biegt nach rechts in die Krämerstraße. In der engen
Fußgängergasse kommt ihr eine dicht zusammengedrängte Touristengruppe entgegen.
Sie schlängelt sich an der lärmenden Meute vorbei und ist froh, als sie
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