Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
den Nacken, der blutverschmierte Polizist guckt
hinter der zerfetzten Wohnungstür hervor, der ohrenbetäubende Knall, die
herabregnenden Holztrümmer. Swensen schlägt die Augen auf und flüchtet vor
seinen Gedanken aufs Sofa.
Was
ist hier bloß los, fragt er sich. Das hat nichts mehr mit normaler
Polizeiarbeit zu tun. Einsame Kripobeamte jagen Menschen mit apokalyptischen
Gewaltfantasien, die ihren eigenen Tod seelenruhig in Kauf nehmen. Das ist
einfach verrückt, hat nichts mehr mit dem uralten Konflikt zwischen Christen
und Muslimen zu tun, der bereits seit 1.400 Jahren läuft! Das ist ein Krieg im
Namen des Korans! Ein nebulöser Krieg, der mittelalterliche Ideen eines
Dschihad beschwört. Mächtig gefährlich, weil so verteufelt einfach.
»Hüte
dich«, hört er seinen Meister, »dass du deine Vorstellungen für eine
unumstößliche Wahrheit hältst! Freiheit bedeutet von Vorstellungen und
Konzepten frei zu sein!«
Er
geht zum Schreibtisch und zieht eine Schublade auf. Zielsicher greift er nach
einem Notizheft, das er während seiner Zeit im Schweizer Tempel geführt hat. Er
blättert darin und findet schließlich, wonach er sucht, den Wortlaut einer
Achtsamkeitsübung, nach der er als Schüler öfter meditierte.
Im Bewusstsein des Leides auf dieser Welt, das durch
Fanatismus und Intoleranz entsteht, bin ich entschlossen, Lehrmeinungen,
Theorien oder Ideologien, einschließlich der buddhistischen, nicht zu
vergöttern und mich nicht an sie zu binden. Buddhistische Lehren sind nur
Hilfsmittel, die es mir ermöglichen, durch tiefes Schauen und Verstehen
Mitgefühl zu entwickeln. Sie sind keine Dogmen, für die gekämpft, getötet oder
gestorben werden sollte.
Das ist jetzt bald dreißig Jahre her, erinnert er sich und ihm fällt ein,
dass er dieser Übung nie besondere Achtung geschenkt hat. In einer spontanen
Eingebung schreibt er den Text auf einen Zettel und heftet ihn mit Tesafilm
hinter seinem Messingbuddha an die Wand. Danach geht er ins Schlafzimmer, nimmt
alle Kleidungsstücke, die er anziehen will, aus dem Schrank und legt sie aufs
Bett. Das Telefon klingelt. Sein erster Gedanke ist Anna, aber es ist Colditz.
»Moin,
Moin, Jan. Wie geht’s? Alles gut überstanden?«
»Mein
Körper zeigt einen gewissen Unwillen aufzustehen. Aber ich bin ja ein Mann des
Geistes.«
»Gut,
dass du schon wieder denken kannst. Es gibt heute Nachmittag eine abschließende
Pressekonferenz. Ich möchte gern, dass du dabei bist. Ich glaube, es wird einen
großen Presseauftrieb geben!«
»Was
ist denn mit dem Wort abschließend gemeint?«
»Einige
möchten sich für die Verhinderung eines Terroranschlags loben lassen! Aber sieh
dich vor! Ich denke zwar, dass du einen großen Anteil daran hast, andere sehen
das allerdings etwas anders …!«
»Etwas
anders … Und was heißt das jetzt?«
»Aus
BKA und BND ist zu hören, du wärest ihnen bös in die Quere gekommen und hättest
beinahe alles vermasselt. Nimm’s gelassen, alter Junge! Meiner Meinung nach
wollen die nur von den eigenen Versäumnissen ablenken! Ich stehe hinter dir, du
hast dich in der akuten Situation völlig korrekt verhalten!«
»Schon
gut! Und was ist nun mit abschließend gemeint?«
»Obermayr
hat Püchel davon überzeugt, dass man unsere Mordfälle als aufgeklärt betrachten
kann. Beide Taten müssten im Zusammenhang mit dem versuchten Terroranschlag
gesehen werden. Da sich aber die Verdächtigen alle in die Luft gesprengt haben,
werden die letzten Fragen wohl nie ganz geklärt werden.«
Swensen
schluckt und merkt, wie Ärger in seiner Magengegend grummelt. Er ahnt, wie
gerne Püchel sich mit diesen Erklärungen zufrieden geben wird. Hauptsache, die
Mordfälle sind vom Tisch.
»Glaubst
du das auch?«, fragt er ungehalten.
»Ehrlich
gesagt, ich weiß es nicht«, antwortet Colditz. »Wir können niemanden mehr
befragen. Das heißt, alles was wir je wissen werden beruht auf Indizien. Meinst
du, dass wir mit der Ausgangslage das Ganze endgültig aufklären können?«
»Stimmt!
Irgendwie hast du ja recht! Aber warum wurde dieser Todesengel ermordet?
Dafür gibt es nach wie vor keine logische Antwort!«
*
Kurz vor vier Uhr gibt es bereits einen großen Reporterauftrieb vor dem
neuen Rathaus. Swensen braucht Geduld, um voranzukommen. Etwas abseits, unter
einer Wolke aus Zigarettendunst, steht Püchel und redet mit vollem
Körpereinsatz auf Staatsanwalt Ulrich Rebinger ein. Der quittiert den
Wortschwall des kleinen, stämmigen
Weitere Kostenlose Bücher