Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
war dort merkwürdig wenig zu finden gewesen, was
Auskunft über das Leben von Habib Hafside hätte liefern können, nicht einmal
ein einfacher Bankauszug. Kein Hinweis, warum er sich am 2. Oktober in Harblek
aufgehalten hatte. Swensen war zu der Überzeugung gekommen, dass es jemand
darauf angelegt haben musste, alle Spuren des Tunesiers systematisch zu
verwischen. Doch wer konnte das gewesen sein? Niemand im Haus hatte in der
letzten Zeit einen Fremden bemerkt oder irgendwelche Geräusche in der Wohnung
gehört. Erst nach zwei Stunden war Mielke mit einer guten Nachricht vom
Klinkenputzen zurückgekommen. Eine ältere Dame, die im selben Wohnblock zwei
Hauseingänge weiter wohnte, hatte etwas über Hafside aussagen können. Bei ihr
war der überaus freundliche Herr, wie sie Mielke immer wieder versichert hatte,
ab und zu zum Kaffee eingeladen gewesen. Der hatte ihr einiges von sich
erzählt, zum Beispiel, dass er aus Tunesien stamme und bei der KDW, der Kielerwerke
Deutsche Werft , am Bau von U-Booten mitarbeitete. Als Mielke der alten Dame
mitgeteilt hatte, dass ihr Nachbar ermordet aufgefunden worden sei, war sie
völlig aus der Fassung geraten. Der Oberkommissar hatte über eine halbe Stunde
damit verbringen müssen, sie wieder einigermaßen ins Lot zu bringen.
Swensen schaut auf die Uhr. Es ist schon 6.23 Uhr. Es bringt nichts mehr,
sich hinzulegen, denkt er und beschließt, die tägliche Meditation auf den Abend
zu verschieben. Der Albtraum hat ihn ziemlich mitgenommen. Er duscht, rasiert
sich und geht, nachdem er sich im Zeitlupentempo angezogen hat, hinunter in den
Frühstücksraum. Vom Buffet nimmt er zwei Brötchen, Käsescheiben, Müsli und
lässt sich Kräutertee bringen.
Ein
Tunesier mit Maschinenbaustudium passt so gar nicht in unsere bisherigen
Überlegungen, denkt er. Jemand, der einer geregelten Arbeit nachgeht, hat kaum
etwas mit Bandenkriminalität oder Blutrache zu tun.
Appetitlos
stochert er mit dem Löffel in seinem Müsli herum, als Mielke in den Raum tritt.
Swensen winkt ihm zu. Wenig später sitzt sein Kollege neben ihm und schaufelt
sich eine große Portion Rührei und kleine Partywürstchen in den Mund.
»Du
siehst müde aus! Schlecht geschlafen?«, fragt der Oberkommissar, nachdem er
sich mit der Serviette den Mund abgetupft hat.
»Hotelbetten«,
antwortet Swensen.
»Du
solltest dir morgens einen starken Kaffee reinziehen, statt dieser Plörre!«
»Was,
außer gute Ratschläge zu bekommen, steht heute sonst so an, Stephan?«
»Weißt
du doch. Entweder KDW und danach Fachhochschule oder Fachhochschule und dann
KDW.«
»Fangen
wir doch einfach mit ›entweder‹ an«, grinst Swensen und erhebt sich.
In
der Tiefgarage steigen die Kriminalisten in den Wagen und studieren auf dem
Stadtplan, wie sie am besten aus dem Straßengewirr um das Hotel zum
Hauptbahnhof kommen.
»Wir
müssen rüber auf die andere Seite des Hafens. Der Eingang zur Werft ist direkt
an der Werftstraße«, zeigt Mielke mit dem Finger auf der Karte. Swensen steuert
den Polo nach den Anweisungen seines Kollegen.
»Rechts
in die Gaykstraße. Immer geradeaus am Bahnhof vorbei. Die nächste Kreuzung
links in die Gablenzstraße.«
Auf
einer alten Eisenbrücke überquert der Wagen die Schienenstränge im
Bahnhofsbereich. Danach macht die Straße einen Linksknick. Hinter den
Industriegebäuden ragen die weißen Aufbauten und der rote Schornstein eines
Fährschiffs hervor, das am Norwegen Kai festgemacht haben muss.
»Was
hältst du eigentlich davon, was da grade in Afghanistan abgeht?«, fragt Swensen
beiläufig, während er an einer roten Ampel stoppt.
»Was
soll ich davon halten? Die Amis tun das, was getan werden muss. Der feigen
Mörderbande da unten muss man zeigen, wo es langgeht. Würdest du die etwa
davonkommen lassen?«
Grün.
Swensen fährt an. Links beginnt das Werftgelände. Rechts auf einem Hügel steht
ein einsames Hochhaus.
»Glaubst
du, dass sie die Mörder wirklich töten werden? Sterben wird hauptsächlich die
Zivilbevölkerung, fürchte ich«, entgegnet Swensen und biegt nach links in die
Werftzufahrt.
»Du
bist Polizist und kein Pazifist, Jan! Wir machen nichts anderes, als Mörder zu
fangen.«
»Aber
nicht ohne Rücksicht auf Verluste«, entgegnet Swensen trotzig.
*
»Karlheinz Sauer«, stellt sich der hagere Mann im dunklen Sportsakko vor.
Unter den grau melierten Haaren ist der ehemalige Rotschopf noch zu erkennen.
Er reicht den beiden Husumer Beamten flüchtig die Hand, die
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