Feuernacht
Vaters durch den Flur.
»Nichts Besonderes,« sagte Lenas Mutter und betrat endlich das Zimmer. »Lena hat vorgeschlagen, Tryggvis Sachen durchzusehen, damit wir ein Arbeitszimmer für dich einrichten können.«
»Na so was.« Ihr Vater kam herein und schaute sich um. Soweit Lena wusste, hatte er seit Tryggvis Tod keinen Fuß mehr in den Raum gesetzt. »Puh, schlechte Luft hier drinnen.« Er trat zu seiner Frau und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Das ist ja wunderbar.«
»Wo warst du eigentlich?«, fragte Lenas Mutter und schloss eine kleine Lüge an: »Lena und ich haben uns schon Sorgen gemacht.«
»Draußen im Garten.« Er wandte sich an Lena: »Und wie läuft’s?«
Lena antwortete nicht sofort. Sie war damit beschäftigt, die letzten Zeichnungen aus dem Stapel durchzublättern. Sie waren alle gleich und zeigten eine Person, die stand oder lag, je nachdem, wie man das Blatt drehte. Die Person war bizarr und sah ganz anders aus als die Menschen, die Tryggvi sonst gezeichnet hatte. Das einzig Vertraute an ihr war das Gesicht: keine Augen und keine Nase, nur ein großer, offener Mund – Lenas Meinung nach ein Zeichen von Verzweiflung. Doch Tryggvi hatte bei dieser Figur etwas Neues hinzugefügt: Aus ihrer offenen Mundhöhle floss etwas Schwarzes. Lena hatte eine Vermutung, was das Bild darstellen sollte, aber als ihr Vater fragte, was das für Zeichnungen seien, brachte sie kein Wort heraus. Schweigend hielt sie ihm ein Blatt hin.
»Wo hast du das gefunden?« Lenas Vater riss ihr das Blatt aus der Hand. Er betrachtete es einen Moment lang mit ernstem Gesicht und nahm dann den Rest der Bilder an sich.
»In der Schublade.« Lena zeigte auf den Stapel, und ihr Vater begann sofort, die Blätter zusammenzuraffen.
»Das gefällt mir nicht.« Als er nicht mehr tragen konnte, legte er die Blätter auf den Schreibtisch. »Ich kümmere mich um das Zimmer. Das muss ja nicht jeder sehen.«
Die beiden Frauen beobachteten ihn erstaunt. Lenas Mutter, die die Zeichnungen gar nicht gesehen hatte, knetete eifrig ihr Ohr.
Während ihr Vater die Blätter vor Lenas Augen zerriss, fühlte sie sich immer mieser. Sie hatte eine böse Vorahnung, dass das ruhige, normale Familienleben, das sie sich wünschte, nur ein dummer Traum war, der nie in Erfüllung gehen würde. Ob diese übertriebene Reaktion mit den Nachforschungen der Anwältin zusammenhing? Er musste doch von den Bildern gewusst haben, aber erst jetzt, als der Brand neu untersucht wurde, machten sie ihn nervös. Lena hatte noch irgendwo die Nummer dieses Ausländers, der konnte ihr bestimmt sagen, wie der Fall vorankam. Ihre Eltern würden das bestimmt nicht tun.
Kleine, weiße Schnipsel segelten vom Schreibtisch auf den Fußboden.
24 . KAPITEL
MONTAG ,
18 . JANUAR 2010
»Ich brauche eine Gehaltserhöhung!« Das klang eher wie ein Befehl als eine Bitte, und Dóra hätte sich am liebsten im Türrahmen umgedreht und laut losgelacht. Wenn sie nicht schon zu spät zu ihrem Treffen mit Glódís im Regionalbüro gewesen wäre, hätte sie liebend gerne mit Bella darüber diskutiert.
»Wir sind mitten in der Wirtschaftskrise, Bella, da sind Gehaltserhöhungen nicht drin, weder bei uns noch sonst wo. Oder meintest du vielleicht Gehaltskürzung? Darüber können wir reden.«
»Zigaretten sind teurer geworden, Benzin ist teurer geworden, alles ist teurer geworden, also müssen auch die Löhne steigen.«
»Tut mir leid, Bella, ehrlich.« Dóras Verhältnis zu der Sekretärin war zwar nicht gerade herzlich, aber angesichts der jüngsten Preissteigerungen war Bellas Wunsch durchaus nachvollziehbar, und wenn dann noch Steuererhöhungen hinzukamen, reichten die Gehälter vorne und hinten nicht mehr. »Wir spüren die Inflation auch, aber es gibt einfach keinen Spielraum für Lohnerhöhungen.«
»Dann zahlt mich doch schwarz.«
Dóra bezweifelte nicht, dass Bella das ernst meinte. »Du weißt, dass ich das nicht kann.«
»Warum nicht? Dann beantrage ich Arbeitslosengeld, arbeite trotzdem und kriege meine Gehaltserhöhung, die du nicht zahlen musst.«
»Das ist strafbar, Bella, und der Staat braucht sein Geld, um die echten Arbeitslosen zu unterstützen. Denk doch mal nach, bevor du redest.«
»Der Staat verschleudert sein Geld für irgendeinen dämlichen Blödsinn, und ich weiß nicht, warum ich nichts davon bekommen soll. Wir Isländer sind jetzt endlich auch mal an der Reihe.« Da ging wohl Bellas übertriebenes Gerechtigkeitsgefühl mit ihr durch. »Außerdem
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