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Feuernacht

Feuernacht

Titel: Feuernacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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Wut, die kannte er gut. Schon als Kind hatte er geübt zu lächeln, wenn Leute versuchten, lustig zu sein, und ein trauriges Gesicht zu machen, wenn sie sich beklagten. Das Problem war nur, dass er dazu neigte, Emotionen zu übertreiben, was bei seinem Gegenüber immer dieselbe peinlich berührte Reaktion hervorrief. Der einzige Grund dafür, dass er nicht versucht hatte, die Diagnose zu verfälschen, war, dass er sich selbst gegenüber ebenso gleichgültig war wie andere. Vielleicht wegen der vielen Gesichter, in die er schauen musste, als er noch einen normalen Mann gemimt hatte, der morgens zur Arbeit ging, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Jedes Mal, wenn er mit einem Kollegen in der Computerwerkstatt Augenkontakt aufnehmen musste, hatte er gelitten, sich aber nichts anmerken lassen, um keinen Verdacht zu wecken. Die Arbeit hatte ihm gut gefallen, er hatte sich schon als Jugendlicher für Computer interessiert, denn dabei musste man nicht mit anderen Menschen kommunizieren. Wenn er in einer größeren Werkstatt mit mehr Kundenkontakt gearbeitet hätte, hätte er bestimmt schnell aufgegeben und wäre früher gefasst worden. Die Quälerei hatte seinen Selbsterhaltungstrieb langsam geschwächt und dazu geführt, dass ihm das mit den Fotos rausgerutscht war. Er konnte sich nicht erinnern, wann diese Abneigung, anderen in die Augen zu schauen, sich zum ersten Mal bemerkbar gemacht hatte, aber sie wurde ganz langsam immer stärker, bis er alle Kraft zusammennehmen musste, um seinen Gesprächspartner anzuschauen.
    »Gleich gibt’s Essen.« Die Tür hinter ihm ging auf, und in der Öffnung erschien ein Wärter, dessen Namen sich Jósteinn nie merken konnte. »Räum deine Sachen auf, es ist nicht sicher, ob du nach dem Essen weitermachen kannst.«
    »Warum denn nicht?« Jósteinn hob den Mikroprozessor hoch und hielt ihn unters Licht. Häufig konnte man angeblich kaputte Teile noch benutzen, aber dieses sah nicht danach aus. Leider. Er brauchte noch einen Mikroprozessor für den Computer, den er gerade zusammenbaute. Na, dann mussten diese Schwachköpfe, für die die gebrauchten Computer bestimmt waren, eben noch ein bisschen warten.
    »Gleich kommt ein Mann von der Gefängnisverwaltung, der was mit dir besprechen will. Wahrscheinlich wegen der Sache mit Jakob.« Der Mann lehnte sich gegen den Türrahmen und verschränkte die Arme. »Beeil dich.«
    »Weißt du vielleicht, ob die Tage noch mehr Computer kommen? Echt unglaublich, wie wenig seit der Krise bei den Behörden kaputtgeht. Meinst du, die sparen?«
    »Beeil dich, Jósteinn, oder ich muss mich über dich beschweren. Du bist nur eine Haaresbreite davon entfernt, deine Arbeit zu verlieren.«
    »Ach so, ja.« Das war der Vorteil einer antisozialen Persönlichkeitsstörung: Den Aufpassern war vollkommen klar, dass es nichts brachte, Jósteinn zu bestrafen. Deshalb hatte sich sein Leben nach dem Angriff auf Jakob, wie er vorausgesehen hatte, nicht geändert. Er durfte weiter Computer reparieren, und ein Tag war wie der andere. Bestimmt würden noch irgendwelche Konsequenzen auf ihn zukommen, aber nur vermeintliche. Jósteinn legte den Mikroprozessor weg und stand auf. Mit dem Wärter war Essensgeruch aus der Küche ins Zimmer geweht. Hunger war ein körperliches Bedürfnis, das nichts mit Emotionen zu tun hatte, und Jósteinn spürte es wie jeder andere – offenbar war bei seiner Erschaffung doch nicht alles Menschliche weggelassen worden. »Was gibt’s zu essen?«
    »Fleischsuppe, weil’s draußen so kalt ist. Wenn du dich nicht beeilst, ist kein Fleisch mehr drin. Nach dem Essen gestern sind alle total ausgehungert.« Gestern hatte es ein Gemüsegericht gegeben – der erste Versuch des Kochs, eine gesunde Ernährung einzuführen. Das geschmacksneutrale Mischmasch war fast unberührt auf den Tellern liegengeblieben, und die Männer hatten den Speiseraum enttäuscht verlassen. Alle außer Jósteinn, der den Raum zwar genauso hungrig verließ wie die anderen, aber hochzufrieden war. Hunger war eine willkommene Abwechslung für ihn. Inzwischen reichte es ihm allerdings und er würde gleich kräftig zulangen. Wegen des Angriffs auf Jakob musste er alleine an einem Tisch sitzen, was ihm gut in den Kram passte. Er war froh, ungestört essen zu können, ohne sich das leere Geschwätz dieser Idioten anhören zu müssen. »Warum schaltest du die Lampe nicht aus? Du weißt doch, wie du den Raum hinterlassen sollst.« Der Wärter nickte mit seinem breiten Kinn in Richtung der

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