Feuernacht
beurlaubt worden war, als sie nachts nicht mehr schlafen konnte. Dóra wollte da nicht zu viel hineininterpretieren – gut möglich, dass der Mann so verständnisvoll war, weil er durch seinen Sohn selbst so viel durchgemacht hatte. Nur merkwürdig, dass Jósteinn ihr bisher immer Tipps gegeben hatte, die wirklich wichtig waren, während es hier überhaupt keine Verbindung gab. Dóra hatte sogar vorsichtig nachgefragt, ob Einvarður eine intime Beziehung zu einer anderen Frau im Ministerium gehabt hätte, aber nur einen pikierten Blick und ein wütendes Nein geerntet. In Berglinds Augen war der Mann ein Engel in Menschengestalt, und Dóra beendete das Thema Ehebruch sofort, denn sie wollte nicht rausgeworfen werden und draußen in der Kälte auf Matthias warten. Vielleicht war es auch gar nicht Jósteinns Absicht gewesen, dass Dóra Berglind besuchte, vielleicht wollte er sie auch auf die Eltern des Unfallopfers hinweisen.
»Mein Mann muss gleich hier sein, ich kann die Polizei ja morgen anrufen.«
»Ich denke, das wäre sehr unvernünftig.« Matthias war endlich wieder bei Atem. »Ruf lieber sofort an, sonst verschiebst du es immer wieder.« Dóra und Matthias war klar, dass Berglind ihren Rat nicht befolgen würde. »Vielleicht macht er das ja schon eine ganze Weile und kommt noch mal zurück. Bei diesem Brandfall gibt es genug schräge Typen.«
»Glaubt ihr, dass der Kerl schon öfter hier rumgelungert hat?«, fragte Berglind und streichelte Pési. Er klammerte sich nicht mehr so stark an sie, und seine Augenlider wurden schwer. »Ich hatte schon öfter das Gefühl, dass jemand im Garten ist.« Sie errötete kaum merklich. »Ich dachte, dass hätte mit diesem … ihr wisst schon, zu tun.« Sie verstummte, aber die Möglichkeit, dass es vielleicht doch eine logische Erklärung für die übersinnlichen Phänomene gab, hing noch in der Luft.
35 . KAPITEL
FREITAG ,
22 . JANUAR 2010
Der Kameramann reichte Dóra bereitwillig die Zeichnung. »Nimm sie nur, ich kann ja sowieso nichts mit ihr anfangen. Eigentlich ist es nur Zufall, dass sie noch nicht im Müll gelandet ist.«
Dóra nahm die Zeichnung entgegen, skeptisch, ob der Mann überhaupt jemals irgendetwas wegwarf. Die Kiste, aus der er das Blatt herausgekramt hatte, enthielt alle möglichen Dinge, die mit dem Dokumentarfilm für das Sozialministerium zu tun hatten. »Das ist super, tausend Dank, dass du die rausgesucht hast.«
»Keine Ursache, wenn du mich früher gefragt hättest, hätte ich sie dir sofort gegeben.«
Dóra bedankte sich noch einmal und eilte zurück zu ihrem Auto. Beschwingt hüpfte sie die Treppe des Wohnblocks hinunter. Auf der Rückfahrt von Berglind hatte sie sich darüber beklagt, keinen Zugriff auf Tryggvis Zeichnungen zu haben, um sie mit Pésis linkischem Gekritzel, das Berglind ihnen mitgegeben hatte, abgleichen zu können. Daraufhin hatte Matthias vorgeschlagen, sie könnten sich vielleicht den Filmausschnitt ausleihen, den sie bei dem Kameramann gesehen hatten. Dann könnten sie die Wand mit den Zeichnungen in Tryggvis ehemaligem Zimmer noch mal genau unter die Lupe nehmen. In dem Moment war Dóra wieder eingefallen, dass Tryggvi dem Kameramann eine Zeichnung geschenkt hatte. Sie war sich ziemlich sicher gewesen, dass das Übliche darauf abgebildet war: eine junge Frau etwas abseits, wahrscheinlich Lísa, ein stehender Mensch, der Tryggvis Mutter darstellte, Flammen, die Buchstabenreihe und weitere Details, die auf dem Film nicht zu erkennen gewesen waren. Bei einem kurzen Telefonat am nächsten Morgen hatte der Mann gesagt, er hätte die Zeichnung noch, und Dóra könnte gerne vorbeikommen und sie mitnehmen.
Dóra sprang ins Auto und warf die Tür ins Schloss. »Bingo!«
Zufrieden fuhr Matthias los, wenn auch nicht ganz so gut gelaunt wie Dóra. Die Bank hatte ihm am Morgen eine letzte Frist gesetzt: Er musste bis Montag eine Entscheidung über das Jobangebot fällen. Dóra versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie hoffte, dass er den Job annehmen würde. Sie sagte nicht, dass seine Chancen, in den nächsten Jahren in Island einen passenden Job zu finden, sehr gering waren. Und ohne Job hatte er in Island keine Zukunft. Für Dóra kam kein anderes Land in Frage, sie konnte nicht wegziehen – wegen der Kinder und ihrer Eltern und auch wegen ihr selbst. Wenn Matthias ging, war ihre Beziehung beendet, ob sie nun eine gemeinsame Entscheidung trafen oder die Beziehung einfach langsam einschlafen würde. Eine
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