Feuerprinz
sich zu weit von der Lichtung entfernt. Sogar die ausgeprägten Ohren der Greife konnten sie hier nicht hören.
Der Greif war mit wenigen Schritten bei ihr, zog sie hoch und legte ihr einen Arm um die Taille. Seine andere Hand drückte er auf ihren Mund. Lins Schreie erstickten, ohne dass sie die Kraft aufbrachte, sich gegen den Greif zu wehren. Sein Duft stieg ihr in die Nase und machte sie willenlos, so dass sie schlaff in seinen Armen hing.
Er ist wunderschön … ich begehre ihn …
, dachte sie unsinnigerweise und war zu keinem anderen Gedanken mehr fähig.
»Die Königin von Engil ist unvorsichtig. Suragon musste nicht lange auf eine Gelegenheit warten.« Er zerrte ihr die Decke vom Körper, und sein betörender Duft sorgte dafür, dass Lin alles bereitwillig mit sich geschehen ließ.
Liebe mich!
, verlangte ihr Körper inbrünstig.
Doch zu ihrer Überraschung wollte Suragon nur die Decke, um sie zurück ins Gras zu werfen. »Der Halbgreif wird Lin suchen, und Suragon wird ihn erwarten.«
Sie wollte etwas sagen. Trotz ihres betäubten Verstandes erinnerte sie sich an den Namen, den die Waldfrau ihr genannt hatte – Suragon. Etwas war mit diesem Greif, er war gefährlich, weil … Lin versuchte sich zu erinnern, während er sie mit kräftigem Flügelschlagen hinauf in einen Baum trug. Langsam ließ die Taubheit ihres Verstandes nach. In seinem Schurz steckte eine Peitsche mit silbernen Ketten, die mit Schjackzähnen besetzt waren; Lin fand diese Peitsche ungewöhnlich.
»Wohin bringst du mich?«,wollte sie von Suragon wissen.
»In Sicherheit!«, war das Einzige, das er ihr zur Antwort gab. Dann setzte er sie noch oben in einem Baum ab, von dem siealleine nicht wieder herunterkommen würde. Er betrachtete sie kühl. »Lin muss sich entscheiden. Will sie die Priesterinnen retten oder sterben lassen?«
Ihr Kopf war wieder klar, und ihr kamen die Worte der Waldfrau über Suragon in den Sinn.
Diesen Greif wirst du nicht täuschen können
.
»Ich will sie retten«, antwortete sie leise.
»Suragon ist bald zurück«, versprach er.
Ehe Lin etwas hätte tun können, stürzte er sich vom Ast, spreizte die Schwingen und flog davon.
Degan verschwand leise fluchend im Wald, während er das Gekeife der Waldfrau in seinem Rücken ignorierte. Nachdem Lin fortgelaufen war, hatte die Alte ihm im Befehlston mitgeteilt, dass er sie zurückholen müsse. Seiner eher spöttischen Frage, warum er das
müsse
, war eine Schimpftirade auf seine Überheblichkeit, seine Verbitterung und seine Nutzlosigkeit gefolgt. Mehr um dem Gezeter der Alten zu entgehen als aus echten Schuldgefühlen war Degan aufgestanden und hatte sich auf den Weg gemacht.
Lin! Immer ging es nur um sie! Schon damals in Engil war es so gewesen. Immer wurde er dazu gedrängt, sie zu beschützen. Aber was konnte er dafür, dass sie ihn so verzweifelt liebte, dass sie, naiv, wie sie war, dem dunklen Gott in die Falle gegangen war; was konnte er dafür, dass Elven ihre Eltern getötet hatte? Degan hob einen Stein vom Boden auf und schleuderte ihn weit von sich. Was, bei Salas Tränen, konnte er dafür, dass Lin mit der Lichtgöttin verschmolzen war?
Und was kann sie dafür?
, wisperte zaghaft eine Stimme in seinem Kopf. Degan gebot ihr unmissverständlich, still zu sein und sich aus seiner Wut herauszuhalten.
Er sah sich um. Immerhin war er so die Waldschnepfe fürs Erste los! Sollte sie Belamon und seine gebrochene Schwinge ruhig eineWeile quälen, anstatt ihm Vorhaltungen zu machen. Schließlich war der verliebte Junggreif schuld daran, dass Lin wie Falbrindspucke an seinen Fersen klebte. Wenn er sie fand, würde er ihr ein paar unfreundliche Worte an den Kopf werfen und sie in die Hütte der Waldfrau sperren, wo sie für sich selbst und für andere keine Gefahr darstellte.
An einem kleinen Bach fand er Lins Decke, hob sie auf und schnupperte daran. Sie duftete nach Seifenkraut – wahrscheinlich hatte Lin ein Bad genommen. Unwillkürlich nahm Degan seinen eigenen strengen Geruch wahr. Über ein Bad konnte er ja mal nachdenken; das letzte war wirklich schon eine ganze Weile her. Man vergaß so etwas, wenn man die meiste Zeit auf einem Baum lebte. Wieder schnupperte er an Lins Decke. Da war noch ein anderer Geruch neben dem Seifenkraut und dem ihrer Haut. Er war ihm vertraut und doch fremd. Degan sah sich um und rief Lins Namen. Natürlich erhielt er keine Antwort. Wahrscheinlich versteckte sie sich hinter einem Baum wie ein trotziges Kind und
Weitere Kostenlose Bücher