Feuerprinz
schüttelte den Kopf. »Das dauert zu lange. Außerdem kommt keine von uns ungesehen aus Engil heraus, wenn Elven so misstrauisch ist, wie du sagst.« Sie legte Lin die Hand auf dieSchulter und sprach mit fester Stimme. »Ich fürchte, dieses Mal sind wir wirklich auf uns gestellt. Tojar ist alt, Nona und Dawon sind seit vielen Jahresumläufen verschwunden, ebenso wie Degan … und die Lalufrauen wurden ausgelöscht. Aber wir haben schon schlimmere Bedrohungen erlebt … das Greifenweib oder der Angriff der Greife unter Sasalor und dem Blutpriester Karok …« Ilana stemmte die Hände in die Hüften – ein Zeichen dafür, dass sie eine Entscheidung getroffen hatte. »Ich selbst werde die Greife fortschicken und Elven gleich mit ihnen.«
Lin versuchte, es ihr auszureden, doch Ilana wehrte ab. »Keine Sorge. Ich werde Elven nicht ohne eine angemessene Leibwache empfangen.«
Lin war alles andere als überzeugt. »Die Leibwache ist mehr schöner Schein als hilfreich. Das weißt du! Ich bleibe bei dir.«
»Nein!«, entgegnete Ilana streng. »Du gehst in deine Räume und wartest. Verschließe die Tür von innen. Morgen früh ist Elven fort, dann werde ich dich holen.« Sie fuhr Lin über das Haar. »Für heute warst du mutig genug. Vertraue mir … ich kenne die Ränke des dunklen Gottes zu gut, als dass ich mich noch einmal von ihm blenden lassen würde.« Ilana runzelte die Stirn, ein Zeichen dafür, dass sie nicht ganz so zuversichtlich war, wie sie Lin glauben machen wollte. »Du hast doch noch Salas Schutzkette … ihre drei Tränen?«
Lin nickte. Sie hatte die Kette, die Degan ihr überlassen hatte, nicht mehr getragen, seit sie aus Dungun zurückgekehrt war, bewahrte sie aber in einer Truhe unter ihren Gewändern auf.
»Leg sie an. Sie wird dich beschützen.«
Lin versprach, sie zu tragen. »Mutter«, sagte sie leise, während Ilana einen letzten Blick in ihren Rotmetallspiegel warf. »Was ist, wenn Elven Engil nicht verlassen will … was, wenn er sich weigert, mich freizugeben?«
Ilana zog die Brauen hoch und legte den Spiegel beiseite. »Das kann er nicht, Lin. Du bist nicht sein Eigentum.«
Lin schickte die überraschte Vay aus ihren Räumen und verschloss die Tür hinter sich. Lieber wollte sie in dieser Nacht allein bleiben, als eine eifersüchtige Dienerin, die ihr nicht gewogen war, in ihrer Nähe wissen. Sie durchsuchte ihre Truhen, bis sie endlich das Stück Tuch fand, in das sie Salas Tränen eingeschlagen hatte. Langsam fuhr sie mit dem Finger über den roten Stoff. Es war ein Stück von einer Gürtelzier, die sie für Degan angefertigt hatte. Er hätte sie bei ihrer Verbindungsfeier in Salas Tempel tragen sollen. Lin warf den Stoff zurück in die Truhe und legte das zarte Kettengebilde aus Laluhaar um ihren Hals. Vorsichtig befühlte sie die winzigen Tränen der Göttin. Drei Tränen hatte Sala einst für ihre ermordete Tochter Tjama vergossen. Drei Tränen und eine einzige Lalufrau waren alles, was vom Licht der Göttin geblieben war. Und diese winzigen Tränen sollten sie und ganz Engil nun vor Elven schützen?
Lin lauschte angespannt den Dienerinnen und am Abend Elvens Schritten auf dem Gang, als er in den Palast zurückkehrte. Angst kroch ihr ins Herz. Was würde er tun, wenn er ihre Tür verschlossen vorfand? Doch er kam an diesem Abend nicht. Lin wurde unruhig und begann, in ihren Räumen auf und ab zu gehen. Immer wieder legte sie ihr Ohr an die Tür, um etwas zu hören. Doch bis auf die Schritte der Diener, Vays herrische Stimme, die eine jüngere Dienerin zurechtwies, und eine Wache, die laut verkündete, dass die Nachtschale des Stundenmessers halb gefüllt sei und somit die Nachtruhe begonnen habe, geschah nichts.
Lin ging hinüber zur Fensteröffnung und sah hinaus in die ungewöhnlich düstere Nacht. Der Himmel war wolkenverhangen und mondlos, so dass sie nicht bis hinunter zum Tempelplatzsehen konnte. Sie spürte, dass die Greife dort waren. Würde es ihrer Mutter tatsächlich ganz allein auf sich gestellt gelingen, sowohl die Greife als auch Elven aus Engil zu vertreiben? Vielleicht sollte sie einfach zu ihr gehen. Ilana wäre wütend, aber sie würde sich besser fühlen. Lin zögerte, legte sich auf ihr Lager und starrte die Decke ihrer Räume an. Es war die erste Nacht, in der Elven nicht zu ihr kam. War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Lin legte eine Hand an ihre Halskette. Sie fühlte sich warm auf ihrer Haut an.
Bitte Sala … hilf Ilana heute Nacht
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