Feuerprobe der Liebe - 1 Teil der Miniserie The great London fire - Historical Bd 217
so lautlos wie ein Geist!“ Ihr Gesicht hielt sie weiterhin von ihm abgewandt und versuchte, ihrer Stimme einen heiteren Klang zu verleihen.
„Ihr wart in Gedanken verloren. Das ist ein trauriger Anblick.“
„Ja.“ Desirée spürte genau, wie nahe er hinter ihr stand und über ihre Schulter hinweg auf die brennende Stadt blickte. Er berührte sie nicht, und doch fühlte sie deutlich seine Kraft.
„Es ist so – so dumm“, sagte sie und folgte dem plötzlichen Wunsch, ihre Gedanken mit ihm zu teilen. „Samstagnachmittag stand ich hier und wünschte mir, nach London zu gehen, überlegte mir sogar, wie ich es anstellen könnte – und jetzt ist es zu spät. London gibt es nicht mehr. Ich habe – ich habe es nie gesehen.“ Ein Schluchzen erstickte ihre Stimme. Sie versuchte, das Zittern ihrer Lippen zu unterdrücken, dankbar für die Dunkelheit und dafür, dass Jakob sie nicht sah.
Er legte die Arme um sie. Seine tröstliche Berührung raubte ihr um ein Haar ihre ganze Selbstbeherrschung. Fest kniff sie die Augen zu, um den Tränen nicht freien Lauf zu lassen.
„Es wird wieder aufgebaut“, sagte er in ihr Haar hinein.
Vorsichtig holte sie ein paar Mal Luft und konzentrierte sich auf das Gefühl, in seinen starken Armen zu sein. Die Erregung, die er in ihr weckte, war eine angenehme Ablenkung von ihren Sorgen.
„Es wird nicht dasselbe sein“, antwortete sie, sobald sie ihrer Stimme wieder vertrauen konnte.
„Vielleicht wird es besser sein.“
„Ich werde keinen Vergleich ziehen können. Ich kannte die Stadt kaum, und jetzt werde ich sie nie mehr kennen lernen. Als es noch möglich war, nutzte ich nie die Gelegenheit, sie mir anzusehen, und nun ist es zu spät.“
Zu spät.
Welch traurige und endgültige Worte. Die fernen Flammen verschwammen vor Desirées Augen. Sie blinzelte die Tränen weg. Es war ihre eigene Schuld. Sie hatte Angst gehabt. Und während sie darauf wartete, mutiger zu werden, hatte sie zu viele Gelegenheiten ungenutzt verstreichen lassen. Sie starrte auf die brennende Stadt und beschloss dabei, nie mehr zu spät zu kommen. Ihre Vorsicht hatte sie einsam werden lassen, und, wenn man den Zeichen glauben durfte, sie angreifbar gemacht für einen mordlustigen Verwalter.
„Kommt, setzt Euch“, bat Jakob sie.
Sie ließ sich von ihm zur Bank führen. Vorhin hatte sie schon ein Stück Sackleinen darüber gebreitet, um seine schöne Kleidung zu schützen. Jetzt setzte sie sich neben ihn, sorgfältig darauf achtend, dass ihr mit Asche bedeckter Rock nicht seinen schwarzen Brokatüberrock streifte. Ihre Gedanken über die Ereignisse des Tages traten in den Hintergrund. Wenn sie Jakob so nahe war, konnte sie an nichts anderes denken als an ihn. All ihre Sinne waren auf seine kleinsten Bewegungen gerichtet. Sie fragte sich, worüber er wohl nachgedacht haben mochte, während er so geduldig dort gesessen hatte. Nur zu gern hätte sie seine Gedanken gelesen, seine Gefühle und seine Absichten. Vor allem hätte sie gern gewusst, was er über sie dachte.
„Wie geht es Euren Händen?“, fragte sie und flüchtete sich in Höflichkeiten.
„Sie heilen gut, vielen Dank.“ Statt der Bandagen trug er nun ein Paar weicher Handschuhe, die Lord Halross ihm gegeben hatte.
„Das freut mich.“ Sie warf Jakob einen Blick zu und bemerkte, dass er sie beobachtete. Rasch wandte sie sich ab und zupfte an ihrem Rock. Dann merkte sie, was sie da tat, und faltete ihre Hände im Schoß, um zumindest den Anschein von Ruhe zu vermitteln.
Träge hatte er eines seiner langen Beine neben ihr ausgestreckt. Sie dachte daran, wie sich das Bein angefühlt hatte, und vor Verlegenheit errötete sie heftig. Sie vergaß, dass sie vorhin vergebens auf seinen Heiratsantrag gewartet hatte, und erinnerte sich stattdessen daran, wie er sie vergangene Nacht in der Dunkelheit geküsst hatte. Ihr ganzer Körper schien zu glühen.
Vielleicht wanderten ihre Gedanken so eigenwillig umher, weil sie hier einsam zusammen im Mondlicht saßen. Die meisten Fackeln waren inzwischen verloschen, und es bestand kaum die Gefahr, dass jemand sie störte. Benjamin war erschöpft von dem langen Ritt und der Aufregung und früh schlafen gegangen.
Desirée warf noch einen Blick auf Jakob. Vielleicht würde er sie wieder küssen. Sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne, während sie darüber nachdachte. Sie konnte nicht leugnen, dass sie diese Erfahrung genossen hatte. Nie zuvor hatte ein Mann Interesse daran gehabt, sie zu küssen.
Weitere Kostenlose Bücher